Kostas Georgousopoulos ist ein wichtiger Theaterkritiker, Schriftsteller, Übersetzer, Versemacher. Im Jahr 2008 wurde er mit dem Großen Staatspreis für Literatur für sein Gesamtwerk ausgezeichnet. Er sprach mit Griechenland Aktuell u.a. über das heutige Griechische Theater, die griechischen Theaterautoren, das Epidaurus-Festival.
Erzählen Sie uns von der Geschichte des griechischen Theaters, nach der Gründung der Neuen Hellenischen Republik.
Sie fragen mich nach der Geschichte seit der Gründung der Neuen Hellenischen Republik bzw. des heutigen Griechenlands im Jahr 1829. Sie haben Recht, Griechenland hat schon eine offizielle Theatergeschichte. Der Begriff aber «Theaterstück» war geläufig schon vor der Gründung der Neuen Hellenischen Republik. Es gab eine große Persönlichkeit des griechischen Theaters, Spiros Evangellátos, der Theaterstücke aus dem 13. oder 14. Jahrhundert wiederentdeckt hat. Also, es ist hier festzustellen, dass wir eine sehr lange Theatergeschichte haben. Wir mussten aber nach der Gründung der Neuen Hellenischen Republik das Theater von Anfang an aufs Neue entdecken, weil nicht nur die jahrhundertelange Osmanische Herrschaft, sondern auch das orthodoxe Christentum die Theateraufführungen verhindert hat.
Wir müssen die Wahrheit über das Christentum sagen, das entstanden ist im Schatten der jüdischen Tradition. Dies bedeutet, dass grundsätzlich der Jüdische Einfluss bzw. das Alte Testament stärker war als das Griechentum. Allerdings, sollten wir nicht denbyzantinischen Ikonenstreit vergessen (hierin handelt es sich um die Streitigkeiten zwischen den Ikonenzerstörern und Ikonenverehrern). Dies bedeutet, dass die Nachahmung im Allgemeinen streng untersagt wurde. «Du sollst dir kein Gottesbild noch irgendein Gleichnismachen», steht im Alten Testament. Daher gab es leider nicht nur kein Theater, sondern auch keine Ikonenmalerei, keine Statuen, es wurde alles in dieser Zeit zerstört. Und dies, weil das Orthodoxe Christentum keine Art von Nachahmung überhaupt zugelassen hat. Der Heilige Johannes Chrysostomos, Bischof von Antiochia, predigte gegen das Theater, wenngleich er uns in seinen Predigten wertvolle Informationen gibt.
Εr predigte, stellen Sie sich vor, gegen das Schminken der Schauspieler. Andererseits, gibt es einige Widersprüche. Als der heilige Basilius der Große und sein Bruder Gregor von Nyssa nach Athen gekommen waren, hatten sie altgriechische Tragödien im Theater besucht, also die Theateraufführungen waren doch zu jener Zeit noch nicht verboten. Als sie dann in Konstantinopel zurückkehrten, gab es eine große Krise, da die meisten Leute der Kirche fernblieben. In Konstantinopel gab es in dieser Zeit viele Spektakel und das Publikum mochte nicht mehr in die Kirche gehen, deshalbmusste ein Weg gefunden werden, die Leute zur Kirchezurückzubringen. Dieser Weg war dann doch die heilige Liturgie, die Messe. Denn Basilius der Große, der viele Tragödien im Theater aufgeführt gesehen hatte, schrieb einen Text, der das altgriechische Theater imitiert. Nicht nur architektonisch gesehen, was die Kirche anbelangt, z.B. die 3 Tore, nicht nur diePeriakten, das ist die Darstellung der Heiligenszenen in der Kirche und alles andere stammt aus dem antiken griechischen Theater.
Das ist allerdings keine Weiterentwicklung. Denn in diesen Jahrhunderten, also im 13- 14. Jh., als die osmanische Herrschaft schon das Land gelähmt hat, gab es in Europa schon eine lange lebendige Theatertradition. Hier in Griechenland im Gegenteil, gab es überhaupt kein Theater. Da es nichts gab, haben wir die Praktiken und die Ästhetik des europäischen Theaters, und vor allem des Italienischen Theaters, voll übernommen. Auf der anderen Seite im freien Griechenland, also auf den Ionischen Inseln und auf Kreta, die eine engere Beziehung mit Europa hatten, gab es doch eine lange Theatertradition. Viele Jahre vergingen bis wir, wir Griechen, anfingen, die antike Tragödie wieder zu verstehen, als unser eigenes Theater, bis wir Wege gefunden haben, die antike Tragödie wieder darzustellen. Das Europa hat nichts davon verstanden. Z.B. die Bedeutung desChors (griechisch chorós). In Europa wurden allerdings viele Tragödien geschrieben, aber ohne die Chorpartien. Denn sie verstanden nichts davon. Sie konnten sich wahrscheinlich nie vorstellen, dass die großen Leidenschaften sich vor der Öffentlichkeit entfalten und von dem Publikum wiederum beurteilt werden sollen. Der Chor in der antiken Tragödie war doch der große Stolz der Demokratie. Deshalb wurde das europäische Theater in den Räumen des Wohnzimmers, der geschlossenen Fenstern eingeschlossen, außerhalb dessen wir nie wissen, was da draußen passiert. Leider hat das Europa zu lange dazu gebraucht, diesen demokratischen Hintergrund zu verstehen, dass die Athenische Demokratie im Freien die menschlichen Leidenschaften, unter der Kuppel des Himmels, darstellt.
Hat das neugriechische zeitgenössische Theater seinen Platz unter den anderen zeitgenössischen europäischen Theatertraditionen?
Wir haben einen bedeutenden Platz im heutigen europäischen Theater. Hier denke ich nicht nur an Autoren wie Gregorios Xenopoulos oder anderen, sondern auch an Autoren der fünfziger Jahre dse vorigen Jahrhunderts, also in der Nachkriegszeit, während der z.B. Iakovos Kampanelis und viele anderen im Vordergrund stehen. Wir haben 12 bis 15 Theaterautoren, die gar nicht schlechter als die größten Theaterautoren Europas sind. Das Europa hat keine Theatertradition in der Nachkriegszeit. Im Gegenteil verfügen wir über Autoren wie Kampanelis, Chryssoulis oder Maniotis, welche ein wichtiges Werk hinterlassen haben. Diese Theaterstücke wurden während der Juntazeit, also von 1967 bis 1974 aufgeführt. Ich meine doch, dass es sinnlos wäre, wenn ich nicht diese neugriechischen Theaterstücke unterstützt hätte. Laut dem Gründunsgesetz des Griechischen Nationaltheaters (im Jahr 1932, das Gesetz vom damaligen Bildungsminister Geοrgios Papandreou), wird das Nationaltheater gegründet, um das griechische Publikum mit der globalen Dramaturgie vertraut zu machen und um das neugriechische Theater zu fördern. Das geschah in meiner Zeit. Und doch, während dieser schwierigen Jahre, prägten diese Theaterstücke das Volksbewusstsein des Widerstands und bereiteten auch eine entschiedene moralische Konfrontation mit der Junta (Kampanelis, Matessis, Dialegmenos, Mourselas) vor. Diese Theaterstücke wurden damals mehrmals aufgeführt und zwar von staatlichen Fernsehsendern gesendet. Warum werden sie heute nicht mehr aufgeführt? Ιch bin ganz dagegen, ich sage es hier deutlich, dass das heutige Griechische Nationaltheater kein Theaterstück von wichtigen Autoren wie Matessis, Mourselas, Nora Anagnostaki (die vor kürzem gestorben sind) aufführt. Das ist unglaublich. Ein analoges Beispiel ist Sarah Kane. Es wurden Theaterstücke von ihr vom Londoner Nationaltheater aufgeführt als sie nur 21 Jahre alt war.
Die Wirtschaftskrisehat eine soziale Umwälzung hervorgebracht. Spiegelt sie sich im gegenwärtigen neugriechischen Theater wieder? Gleichzeitig hat es nach und nach eine Abschätzung der Revuestücke gegeben?
Das Thema ist sehr ernsthaft. Eines der wichtigsten Merkmale unserer Theatergeschichte waren die Revuestücke, welche die gesellschaftlichen-politischen Geschehnisse kritisierten, aber mit Niveau. Das ist aber abgeschafft worden. Die Revuestücke sind ein großes griechisches Stilmittel. Etwas Ähnliches gibt es nicht in Europa. Das Fernsehen aber hat es verdrängt. Danach kam die Tagespresse, die Fernsehsendungen, welche den ursprünglichen Stoff, der den Revuestücken zugrundelag, völlig verfälschten. Der Staat hat auch zu der heutigen Krise entschieden beigetragen, da er die Subventionen ganz und gar gestrichen hat.
Ich war einer von denen, der sich dafür eingesetzt hat, Provinztheater zu gründen, die die neugriechische Dramaturgie unterstützen würden. Ich habe auch daran gearbeitet, dass die staatlichen Subventionen den Theatern zugutekamen. In dieser Zeit wurden mehrere Ensembles geschaffen, die aussließlich dem großen griechischen und dem internationalen Theater gewidmet waren, wie das „Amphitheater“ von Evangellátos, das „Offene Theater“ von Armenis, das „Theater“ von Michailidis, von Antypas, das „Kunsttheater“ von Karolos Koun, usw., welche heute nicht mehr existieren. Jedoch, alle diese Bühnen unterstützten die wichtige griechische Dramaturgie. Es gibt viele bemerkenswerte griechische Theaterstücke, welche, leider! heute sich in Schubladen befinden.
Was ist Ihre Meinung über das Epidaurus-Festival?
Ich hatte das Glück im Jahre 1954 bei der Aufführung der Tragödie von Euripides „Hippolytos“ anwesend zu sein. Seitdem bin ich ständig anwesend in Epidaurus. Während der letzten 60 Jahre habe ich fast alle Aufführungen besucht. Ich habe leider bemerkt, und ich bin traurig, dass Jahr für Jahr eine Verschlechterung des Festivals stattgefunden hat. Bis 1960 gab es ein ganz besonderes Team, das im Nationaltheater arbeitete und zuständig für das altgriechische Drama war. Diese Leute beschäftigten sich ausschließlich mit dem antiken Drama. Sie arbeiteten ausschließlich für die Aufführungen in Epidaurus im Sommer und sie bereiteten sich schon seit September des vorigen Jahres dafür. Diese Regisseure und Schauspieler haben die Theaterstücke außerhalb Griechenlands aufgeführt, in London, New Υοrk usw. Die Leute im Ausland waren neidisch auf Epidaurus und auf die Schauspieler. Aber leider existiert dieses Prestige von Epidaurus heute nicht mehr. Mehrere Künstler imitierten die Theaterpraktiken des bürgerlichen Theaters. Heute bringen wir Stühle, Schlafräume etc. in Epidaurus. Das muss nicht so sein. Die Personen der antiken Tragödien sind mythische Gestalten. Das altgriechische Drama sieht öfters in Epidaurus wie ein Wohnzimmer aus, wie eine Fernsehlandschaft des Alltags.
Werden heute neugriechische Theaterstücke in Europa aufgeführt?
Es könnte so sein. Vor etwa 8, 9 Jahren hatte das Griechische Kultusministerium dem “Verein Griechischer Autoren“ den Auftrag gegeben, 30 Werke auszuwählen und sie in mehrere europäische Sprachen zu übersetzen. Ich war Vorsitzender dieses Ausschusses, wir haben tatsächlich 30 neugriechische Theaterstücke ausgewählt. Sie wurden übersetzt. Aber es gab noch ein anderes Hindernis. Falls z.B. ein französisches Ensemble, ein griechisches Theaterstück aufführen wollte, dann musste das Griechische Kultusministerium sich an der Finanzierung mit 50% beteiligen, was jedoch nie geschah. Das Griechische Kultusministerium war leider nicht gewillt eine ausländisches Τheater finanziell zu unterstützen. Ein Theaterstück von Kampanelis wurde in Russland vom Kunsttheater Moskau, abwechselnd mit einem Stück von Tschechow, aufgeführt. Das könnte gut in ganz Europa passieren. Wir haben sehr bemerkenswerte Theaterstücke. Wo sind sie? Sie wurden schon übersetzt und man kann sie im Internet leicht finden. Sie sind im Internet verfügbar, auf der Internetseite des „Vereins Griechischer Autoren“.
Das griechische Kino erlebt auch während der Krise eine Blütezeit. Warum gilt das nicht für das Theater?
Es könnte so sein. Natürlich, könnte es so sein, aber das hat mit der Politik zu tun. Wir haben nicht die gleiche Politik im Bezug auf das Theater, wie z. B. die Politik im Bezug auf die Archäologie. Warum haben wir nicht einer ausländischen Theatergruppe das Geld gegeben, um ein Werk von Kampanelis aufzuführen, während wir eine Ausstellung z. B. altgriechischer Bildhauerei in New Υοrk mitfinanzieren? Besondere Aufmerksamkeit richten wir auf unsere archäologische Schätze, aber das ist nicht genug, wir haben auch anderes kulturelles Schaffen, z.B. wir haben großartige Musik. Für viele Jahre war die griechische Musik äußerst beliebt, insbesondere während der Junta. Damals waren Chatzidakis, Theodorakis, Markopoulos überall bekannt. Darüber hinaus, haben wir sehr wichtige Maler. Leider gibt es keine Politik zur Förderung des theatralischen Schaffens.
Hat Griechenland vielleicht zu viele Theatergruppen?
Ich bin nicht dagegen. Viele Menschen wollen als Schauspieler arbeiten. Wir können das nicht verbieten, dass sie auf der Bühne spielen wollen. Heutzutage gibt es ein Übermaß von Theatergruppen. Es werden jedes Jahr mehr als 1000 Theaterstücke aufgeführt, d.h. wir haben 1000 verschiedene Regieführungen. Nirgendwo auf der Welt gibt es mehr Theatergruppen, nicht mal in China. Ich halte es nicht für falsch. Das aber führt zu Mangel an Professionalität, weil die Schauspieler sehr oft gezwungen sind, auf eigenen Kosten an einer Aufführung teilzunehmen. Das hat etwas Amateurhaftes. Mir gefällt die Idee nicht, dass man Theater ohne Bühnenausstattung macht, da die Mittel fehlen. Wir müssen nicht z. B Tschechow ohne Bühnenbild spielen, wenn Tschechow selber, als Naturalist, viermal das Bühnenbild wechselt. Dann haben wir die Bedeutung des Werkes verloren. (A. Pap.)