Prof. Dr. Rolf Sachsse (Bonn 1949), Professor für Fotografie, freischaffender Künstler, Autor und Kurator, ist zurzeit Lehrbeauftragter für Fotogeschichte am Kunsthistorischen Institut der Universität Bonn. Er war Professor für Designgeschichte und Designtheorie an der HBKsaar in Saarbrücken (2004-2017) und Gastprofessor für Theorie der Gestaltung an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe (seit 1995). Er hat sich mit der Kuratel und den Vorbereitungen von mehreren Fotoausstellungen in Deutschland und im Ausland befasst. Mit seinem Buch unter dem Titel „Die Erziehung des Wegsehens“, welches bis heute die einzige umfassende Geschichte der NS-Fotografie in Deutschland ist, hat er sich auf den Zusammenhang zwischen medialer Vermittlung und allen Formen der Propaganda konzentriert. Anlässlich seiner Teilnahme an der internationalen Konferenz unter dem Titel „The Occupier’s Gaze: Athens in the Photographs of the German Soldiers, 1941-1944“, welche im April 2019 in Athen stattfand, war er Gast unserer Redaktion des „Griechenland_Aktuells“. Dr. Sachsse, der die meisten Bilder der Fotosammlung von Byron Metos interpretiert und ihre Inschriften transkribiert hat, spricht im darauffolgenden Interview über die offizielle Fotografie der NS-Besatzungszeit in Griechenland im II. Weltkrieg, über die privaten Bilder Deutscher Soldaten und Offiziere in Griechenland, sowie über die Auswirkung der Digitalisierung auf die Kunst der Fotografie und auf die urheberrechtlichen Interessen der Fotografen heutzutage.

Tipp:

Die Fotoausstellung unter dem Titel “Mit den Augen des Eroberers: Athen unter Besatzung in der Fotosammlung von Byron Metos“ ist bis zum 30. Juni 2019 im „Fetichié Tzami“ in der archäologischen Ausgrabungsstätte des Athener Römischen Marktes zu sehen. Die Ausstellung wird von der Direktion für das „Neuere Kulturerbe“ des griechischen Kulturministeriums in Zusammenarbeit mit dem Museum Byzantinischer Kultur von Thessaloniki, mit der Unterstützung des Archäologischen Amtes der Stadt Athen, organisiert.

 Professor Dr. Rolf Sachsse @rolfsachsse.de

Bezugnehmend auf Ihre Teilnahme an der internationalen Konferenz unter dem Titel „The Occupier’s Gaze: Athens in the Photographs of the German Soldiers, 1941-1944“ im April 2019 in Athen, könnten Sie uns sagen wie viel ist eigentlich heute in Griechenland und in Deutschland bekannt über die Bilder der Deutschen Soldaten und Offiziere in Griechenland während des II. Weltkrieges? Wie hat sich die Öffentlichkeit darüber informiert?

Auch wenn die gesamte Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und die schlimmen Verbrechen der deutschen Politik in allen besetzten Staaten inzwischen nicht nur nachlässt, sondern auch durch rechte Kräfte in Deutschland zunehmend negiert wird, gibt es genügend Möglichkeiten, sich genau zu informieren. Mehrere umfassende Bücher sind über die deutsche Okkupation in Griechenland geschrieben worden; die Information über das zeithistorische Geschehen ist also gut möglich (https://erinnerung.hypotheses.org/613 ). Einzelne Ereignisse und Verbrechen deutscher Soldaten werden auch immer wieder thematisiert, gelegentlich sogar mit fotografischen Illustrationen (https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/282151/vor-75-jahren-das-massaker-von-kalavrita).

Durch eine große Ausstellung (https://www.hdg.de/lemo/bestand/objekt/foto-ausstellung-verbrechen-der-wehrmacht.html) und zahlreiche Einzeluntersuchungen ist die Fotografie deutscher Soldaten ebenfalls ein recht häufiges Thema wissenschaftlicher Arbeit; hier wird zunächst auch nicht sehr stark zwischen privater und professioneller Fotografie unterschieden (https://2wkvisuell.hypotheses.org/).

Was bisher fehlte, war eine Zusammenführung der beiden Forschungsinteressen: die Besatzung Griechenlands durch deutsche Soldaten und die Geschichte der Fotografien vor Ort, seien sie privat von Soldaten oder als journalistische Arbeiten entstanden. Es wird heute also eher die Frage sein, wie man Öffentlichkeit für dieses Thema schafft, als ein möglicherweise vorhandenes Interesse daran mit guten Ausarbeitungen zu bedienen.

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Photo: Willi Antonovitz, “Soldat auf der Akropolis”, 23.12.1941

Was hat die Fotosammlung des griechischen Sammlers Byron Metos mit diesem Thema zu tun?

Herr Metos hat diese Sammlung außerordentlich verdienstvoll aus dem Interesse zusammen gestellt, in Griechenland über die bestehenden Institute wie das Benaki-Museum und andere Archive hinaus eine historische Debatte zur deutschen Okkupation und zu beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts anzuregen. Er gibt die Quellen seiner Sammlung nicht bekannt; für die Bilder aus dem Zweiten Weltkrieg, die ich bislang durchsehen konnte – vor allem aus Thessaloniki und Athen –, stammen die Aufnahmen aus Erinnerungsmaterialien deutscher Offiziere und Soldaten, die ihm von einer privaten Quelle aus verkauft wurden. Die Sammlung Byron Metos repräsentiert also einen speziellen, aber sehr bedeutenden Blick auf diesen Teil der Geschichte Griechenlands.

Das existierende Fotomaterial der Deutschen Soldaten und Offiziere ist einerseits privat, andererseits gab es auch Fotografen und Bildjournalisten des NS-Regimes, die ganz bestimmt für die offiziellen Fotoaufnahmen verantwortlich waren. Was für ein Bild des damaligen Griechenlands (als Fotoobjekt) haben wir heute aus diesen zwei unterschiedlichen Ausgangspunkten? Gibt es eine Konvergenz oder eher eine Divergenz zwischen den beiden?

Offiziell wurde die Okkupation Griechenlands von einer Propagandakompanie (PK 690) des deutschen Militärs begleitet, deren Fotografen nach relativ festen Regeln Aufnahmen vom militärischen Geschehen und von den besetzten Gebieten und ihrer Bevölkerung zu machen hatten. Vorbereitet wurden die Okkupationen zudem durch fotografische Propaganda-Bildbände mit gut gestalteten Fotografien, um die eigenen militärischen Operationen als kulturell wertvoll erscheinen zu lassen. Für die eigentlichen Gräueltaten – etwa an der jüdischen Bevölkerung von Thessaloniki – wurde ein unabhängiger Bildjournalist hinzugezogen, der zudem von einer militärischen Zensur befreit werden konnte.

Wesentlicher Teil der NS-Propaganda war auch die Anregung, dass die Soldaten und Offiziere selbst fotografieren sollten und mit diesen Bildern den Alltag hinter der eigentlichen Front als eher touristisches Vergnügen erscheinen lassen sollten. Diese Bilder, aus denen der größte Teil der Sammlung von Byron Metos besteht, erfuhren eine mehrfache Zensur: Zunächst wurde darauf geachtet, dass das Fotografieren während der Freizeit geschieht; dann wurden die Filme bei Labors vor Ort oder in der Heimat entwickelt und bearbeitet, wobei die Laborbesitzer genaue Anweisungen hatten, welche Bilder sie nicht an die Fotografen zurückgeben sollten. Die private Sammlung solcher Bilder ist zusätzlich von einer Selbstzensur belegt: Niemand zeigt seinen Kindern, wie er grausame Taten begangen hat. Und schließlich hat die Person, die zum Beispiel die Bilder an Herrn Metos verkauft hat, noch einmal das Material daraufhin untersucht, dass dort keine historischen Untaten zu sehen sind. Insofern repräsentieren diese privaten Bilder nur einen Teil des gesamten Bildgeschehens jener Zeit.

Sachsse 3 Photo: Anonymer Photograph, Strasse mit Markt, ca. 1942

Inwiefern stellen diese Fotosammlungen, private und offizielle, irgendwie ein echtes Verständnis der Auswirkungen des Krieges auf Griechenland dar?

Leider gibt es seit dem 18. Jahrhundert eine lange Geschichte deutscher Intellektueller, die angesichts der antike Größe und Bedeutung Griechenlands mit Verachtung und Desinteresse auf die griechischen Menschen der Neuzeit herabgesehen haben. Dieses widerspiegelt sich auch in den privaten Bildern deutscher Okkupanten im Zweiten Weltkrieg: Immerzu werden volle Straßenbahnen und gestikulierende Straßenhändler gezeigt und mit spöttischen Bemerkungen kommentiert, obwohl die Maßnahmen der Besatzung ja zu diesen Zuständen bis hin zur Hungersnot geführt haben. Davon ist auf den privaten wie auf den offiziellen Bildern nichts zu sehen; insgesamt hat man den Eindruck, dass die Besatzer in einer eigenen Welt gelebt haben, auf Kosten der griechischen Bevölkerung, aber ohne jede Kommunikation oder auch nur den Hauch eines Verständnisses.

Die offizielle Fotografie der Besatzungszeit konzentriert sich auf inszenierte Ereignisse wie Besuche von Generälen und Filmteams auf der Akropolis, wie Militärparaden oder irgendwelche Sportspiele im Olympia-Stadion. Auch hier muss unterschieden werden zwischen den Bildern, die für eine sofortige Veröffentlichung bestimmt waren, und denen, die als mehr oder minder geheime Dokumente in Archive kamen – letztere sind heute die Grundlage unseres historischen Blicks.

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Photo: Anonymer Photograph, Grosse Parade Athen, 03.05.1941

Sie haben eine lange und reiche Erfahrung im Bereich Fotografie. Merken Sie signifikante Unterschiede zwischen Kriegsfotografie damals und heute?

Kriegsfotografie, gleich ob privat oder professionell, ist immer parteilich – insofern hat sich beim Betrachten von Bildern des Krieges nichts grundsätzlich geändert. Gelegentlich machen Bilder eine eigene Karriere gegen den Krieg, aber das ist selten und oft historischen Zufällen geschuldet, die mit den Kriegsfotograf*innen nichts zu tun haben. Immer ging es bei der Kriegsfotografie um die Geschwindigkeit der Übermittlung vom Schauplatz des Geschehens in die Weltöffentlichkeit; was früher eine Frage von Tagen und Wochen war, ist heute eine Übertragung in Millisekunden. Aber die Schwierigkeit beim Lesen von Bildern ist dieselbe geblieben, selbst wenn wir den Umgang mit Millionen von Bildern gewohnt sind.

Ihr Buch unter dem Titel „Die Erziehung des Wegsehens“ ist bis heute die einzige umfassende Geschichte der NS-Fotografie in Deutschland. Könnten Sie uns beschreiben, wie Sie zu diesem Thema gekommen sind?

Ich bin ausgebildeter Fotograf und habe in den 1960er Jahren meine Lehre bei zwei sehr modernen Design-Fotografen – Walde Huth und Karl-Hugo Schmölz in Köln – absolviert. Während dieser Zeit wurde mir klar, dass die moderne Fotografie meiner Zeit weitgehend auf Bildformen beruhte, die in den 1930er und 1940er Jahren erprobt worden waren – eben während des NS-Regimes in Deutschland. Der Zusammenhang zwischen modernem Design, medialer Vermittlung und allen Formen der Propaganda wurde bereits während meines Studiums zu einem meiner Lebensthemen.

Heutzutage sind Bilder von Amateuren oder professionellen Fotografen überall zu finden, auf dem Internet, in den Sozialen Medien, im Web-Fernsehen, usw. Wie haben die Digitalisierung und der online Zugang zu Bildmaterial auf die Kunst der Fotografie und das Ergebnis der Arbeit des Fotografs bewirkt?

Die gesellschaftliche Wirkung von fotografischen Bildern und die Kunst werfen Fragen nach der Bedeutung und dem Sehen von Bildern auf – die Kunst folgt vollkommen anderen Regeln als die politische Öffentlichkeit, auch wenn es immer wieder einmal Überschneidungen gibt. Nachdem das Internet und die Digitalisierung des Bildermachens einen Quantensprung in der Menge verfügbarer Bilder bewirkt haben, kann man sich in aller Ruhe auch mehr den einzelnen Bildern widmen, die man als Kunst betrachten, diskutieren und anerkennen will.

Sachsse 5 Photo: Anonymer Photograph, So hat voriges Jahr der Strassenbahnverkehr ausgesehen, ca. 1944

Wie verbindet man heute den Anspruch des Publikums auf immer mehr «freies» Bildmaterial einerseits mit den urheberrechtlichen Interessen des Fotografs bzw des Künstlers andererseits?

Als ich in den 1970er Jahren in die Gründung von Copyright-Gesellschaften eingebunden war, habe ich von professionellen Fotograf*innen gehört, dass sie kein Interesse an der Verfolgung ihrer Rechte hätten – einmal bezahlt, gehörten die Bilder allen. Dieselben Leute kämpfen heute mit großen Anwaltsbüros um jede kleine Nutzung ihrer Bilder im Netz – für mich ein Witz. Ich bin ein Verfechter der Wissens- und Bild-Allmende, weiß mich darin auch der Ästhetik eines Philosophen wie Th.W. Adorno einig, der gesagt hat, dass ein Bild, wenn es das Atelier verlassen hat, dem Künstler nicht mehr, sondern nur der gesamten Gesellschaft gehört. Zu Lebzeiten mögen Fotograf*innen wie alle Designer*innen gern um ihr Coypright kämpfen, aber mit dem Tod sollten ihre Bilder der Menschheit gehören.

 

Das Interview führte Chrysoula Archontaki