Biografischer Ausschnitt aus der persönlichen Website von Konstantia Gourzi:

Die im Jahr 2023 mit dem „Opus Klassik“ als Komponistin des Jahres ausgezeichnete Konstantia Gourzi bereichert seit mehr als 30 Jahren als Komponistin, Dirigentin und Hochschulprofessorin mit ihren die Welt erforschenden Klangschöpfungen und ihrer authentischen Sprache die zeitgenössische Musik auf einzigartige Weise. Das Komponieren und Dirigieren empfindet sie als eine untrennbare Beziehung als eine gegenseitige Befruchtung. In Konstantia Gourzis Musik erlebt man ein inneres Leuchten und eine große dramatische Kraft, die nicht schreit, sondern aus der Stille und Zentrierung kommt. Ihre zur Reflexion einladende, ergreifende Musik entfaltet oft mit wenigen Instrumenten eine große Wirkung: In vielen ihrer Werke entwirft sie ein berührendes Nebeneinander von Komplexität und Einfachheit, welches direkt unter die Haut geht.
Konstantia Gourzis kompositorische Arbeit umfasst Werke für Orchester, Kammerensemble und Solostücke sowie Werke für Musiktheater und Filmmusik. Damit eröffnet sie den Zuhörern einzigartige, authentische Klangreisen − ein Erkunden von Ebenen der Wahrnehmung durch die Musik. Gesellschaftliche Herausforderungen und Naturthemen greift die Komponistin in ihrer Zeitlosigkeit immer wieder auf: Sie spürt einen inneren Drang, diese Themen durch die einmalige Energie der Musik zu transformieren.

Dr. Susanna Schulz, Juli 2024

Griechenland Aktuell sprach mit der Komponistin und Dirigentin Konstantia Gourzi über ihren Werdegang und ihre aktuellen künstlerischen Projekte.

  • Was bedeutet für Sie die Auszeichnung als „Komponistin des Jahres 2023“ beim Opus Klassik – sowohl moralisch, künstlerisch als auch beruflich? Könnte diese Auszeichnung Ihre künstlerische Kreativität, Inspiration und Produktivität oder Ihre Zukunftspläne beeinflussen? Welche Herausforderungen bringt diese bemerkenswerte Anerkennung für Ihre zukünftigen Arbeiten mit sich?

Eine Auszeichnung bedeutet Anerkennung und zeigt, dass meine Musik gehört und gemocht wird und das, was ich tue, belohnt wird. Das tut gut zu wissen und es ist immer wieder ermutigend. So eine Auszeichnung ist einerseits eine Bestätigung, aber eigentlich sie ist nicht notwendig für den kreativen Prozess. Der künstlerische Weg wird inhaltlich auch nicht dadurch beeinflusst.

Das Komponieren an sich ist immer die persönliche Herausforderung – die Auszeichnung oder der Preis ändert das nicht. Das Bewusstsein zu schaffen für das, was ich mit meiner Musik aussagen möchte, ist ein Lebensweg.

  • Sie arbeiten als Komponistin in vielen verschiedenen Musikgenres. Ihre kompositorische Arbeit umfasst Werke für Orchester, Kammerensemble, Solostücke, Musiktheater, Filmmusik und vieles mehr. Was inspiriert Sie, und was veranlasst Sie, sich jedes Mal für eine bestimmte künstlerische Struktur, Form, einen Stil oder ein Genre zu entscheiden? Wie herausfordernd ist es, Inspiration in ein integriertes Werk zu verwandeln, das bereit ist, auf der Bühne präsentiert zu werden?

Die Inspiration besitzt viele Gesichter. Es kann ein Mensch, die Natur, ein gesellschaftliches oder ein politisches Thema sein – ein Kunstwerk, ein Gedicht, eine Begegnung. Jede Komposition erzählt eine Geschichte, sie hat eine Aussage. Was für eine Richtung eine Komposition nehmen wird, hat auch mit dem Thema des Auftraggebers zu tun. Für ein Filmmusik wird man beispielsweise direkt vom Regisseur gefragt, für eine Solo-Komposition von einem Solisten, für ein Ensemble oder Orchester oder eine Oper entweder direkt von den Musikern und Musikerinnen oder vom Veranstalter oder einem Festival.  Natürlich gibt es auch immer wieder aus mir selbst heraus das Bedürfnis, eine bestimmte Musik zu schreiben, ohne, dass es bereits einen Auftrag gäbe – aber zum Glück ergibt sich später, zu einem erst noch unbekannten Zeitpunkt, der „richtige“ musikalische Partner dafür.   

  • Welches Ihrer Musikstücke liegt Ihnen besonders am Herzen und warum? Gibt es Gemeinsamkeiten in Ihren Kompositionen – gibt es Klänge, Elemente und Themen, die für Sie grundlegend sind und auf die Sie beim Komponieren immer wieder zurückgreifen? Wenn ja, welche sind das?

Es ist unmöglich zu sagen welches Stück ich besonders liebe. Jede Komposition ist eines meiner Kinder, trägt seine besondere Geschichte und ich kann nicht sagen, dass ich dieses oder ein anderes mehr lieben würde.

Die Entwicklung des „Klang-Gebäudes“ – also sowohl jedes einzelnen musikalischen Elements als auch der Gesamtstruktur – ist für jede Komposition ein anderer. Melodie und Rhythmus sind mir wichtig und wie ich sie mit anderen Klang-Elementen verwebe, beschäftigt mich sehr intensiv. Bevor ich ein neues Stück starte, werden all diese Fragen neu gestellt. Ich folge keinem Rezept oder einem Wiederholungsprozess.

  • Haben Sie als Dirigentin von Orchestern oder Ensembles eine Vorliebe für bestimmte Komponisten, Werke oder Epochen? Was inspiriert Sie bei der Auswahl der Stücke, die Sie dirigieren möchten? Welches der von Ihnen dirigierten Musikstücke liegt Ihnen besonders am Herzen und warum?

Mein Schwerpunkt beim Dirigieren ist mehr und mehr die moderne Musik geworden und besonders der Anspruch, sie mit Kompositionen von anderen Epochen, Kulturen oder Genres zu verbinden. Meistens wird ein Konzert von einem dramaturgischen Konzept geformt und begleitet, das je nach Veranstaltung ein anderes ist.

Die Gegenüberstellung von Kompositionen verschiedener Epochen, Kulturen und Genres, um ein neues Ganzes zu kreieren, finde ich im 21. Jahrhundert notwendig und aussagekräftig. Was ein „gutes Programm“ ist und welche Kompositionen aufgeführt werden, ist selbstverständlich von der Veranstaltung selbst – also auch dem Ort, vom Zeitpunkt und dem Kontext – abhängig.

Photo: Stefan Deuber

Seit 2002 sind Sie Professorin für Ensembleleitung Neue Musik an der Hochschule für Musik und Theater in München und leiten das von Ihnen gegründete „ensemble oktopus“. Vor welchen Herausforderungen stehen Sie als Professorin und Dirigentin, insbesondere in der Zusammenarbeit und Verständigung mit jungen Musikern mit unterschiedlichen ethnischen und kulturellen Hintergründen?

Es ist mir wichtig, die Musik als Mittel zu nutzen, Kulturen zu verbinden und dieses Bedürfnis den jungen Musikern zu vermitteln. In der Hochschule gibt es Studenten sehr vieler unterschiedlicher Nationen und sie durch Musik zu vereinen, ist eine Aufgabe und auch ein Geschenk. Es erfordert nicht nur Wissen, sondern Fantasie, Begeisterung, Sensibilität, Mut, Liebe und Flexibilität. Es ist mir wichtig, alle diese Komponenten sowie auch die heutigen technischen Entwicklungen der Instrumente mit ihnen zu besprechen. Heute benötigen die jungen Musiker aber auch die Lehrenden mehr Mut als zu anderen Zeiten, um die Spiegelung der heutigen Welt mit Musik auszusprechen, Stellung zu nehmen und dabei die eigene Identität zu erkennen – und beizubehalten.

  • Ihre Kollegen[1] haben über Sie gesagt: „Ihre Musik ist geprägt von innerem Leuchten. und auch einer großen dramatischen Kraft, aber eine, die nicht schreit, sondern eine Kraft, die aus der Stille kommt, also auch eine Art Zentrierung. Sie nutzt sehr wenige Töne und erreicht damit viel Aussagekraft“. Würden Sie sagen, dass diese Eigenschaften Ihrer Musik Aspekte Ihres Charakters widerspiegeln, oder sind es bewusste musikalische Entscheidungen, die darauf abzielen, Ihre Musik beim Publikum auf besondere Weise wirken zu lassen?

Die Musik und insgesamt die Kunst ist immer ein Spiegel des Charakters ihres Schöpfers. Durch Musik lerne ich mich besser kennen. Ich befinde mich in einem dauerhaften Entwicklungs- und Entfaltungs-Prozess und dieser widerspiegelt sich in der Art des Komponierens oder Interpretierens. Dieser Weg ist für mich auch der einzige, um mit dem Publikum aufrichtig zu kommunizieren.

  • Was ist die größte Angst einer Komponistin und Dirigentin, selbst wenn sie bereits etabliert ist? Hat diese Angst mit Inspiration, Kreativität und Originalität zu tun, mit der Resonanz beim Publikum, mit den Reaktionen der Kollegen – Dirigenten und Komponisten – oder mit den Kritikern?

Es gibt immer wieder kurze Perioden nach intensiven Komponier-Phasen ohne Inspiration. In diesen Fällen warte ich und versuche der inneren Uhr zu vertrauen und die Angst, dass ich z.B. nicht wieder komponieren kann, zu besiegen. Es ist ein Prozess des Umgangs damit, wenn ein unbekannter/ungewünschter Zustand kommt.

Wegen der Kritiker und Kritiken mache ich mir mittlerweile wenig Sorge. Mich interessiert meistens der Austausch mit meinen engsten Freunden, den Interpreten und diesen die nachempfinden, was ich künstlerisch tue. Sowieso der oberste Kritiker bleibt mein Bewusstsein.

  • Wenn ich über Griechenland spreche, möchte ich anmerken, dass viele Menschen das Musikstudium in der derzeit angespannten Wirtschaftslage als Luxus betrachten. Andererseits beobachten wir in Griechenland eine spektakuläre Zunahme kultureller Einrichtungen (Onassis-Kulturzentrum, Theodorakis-Stiftung, Stavros-Niarchos-Stiftung, neue Oper). Glauben Sie, dass das Interesse des griechischen Publikums an Kunst und Musik zugenommen hat, oder bleibt Kunst weiterhin eine Angelegenheit der Wohlhabenden, während die breite Öffentlichkeit sie immer noch als Luxus betrachtet?

Das Musikstudium und insgesamt Musik ist die Nahrung des Geistes. Ohne Musik und Kunst kann der Mensch kein Mensch werden.

Ich beobachte, dass das Interesse des Publikums in Griechenland zugenommen hat; alle Institutionen bieten mittlerweile günstigere Tickets, auch für die Leute, die sich sehr schwer ein Ticket leisten können. Das ist großartig.

Dass das Publikum diese Gelegenheiten ergreift und zu den Veranstaltungen geht, hat auch mit der Haltung der Politik zu tun.  Die Erziehung der jüngeren Generation muss entsprechend gestalten werden: so, dass die Nähe zur Kunst und zu der Musik bewusst entstehen kann. Die Politik hat dafür noch viel zu leisten.

Foto: Gregory Giakis
  • Welche Beziehung haben Sie zu Griechenland und zur zeitgenössischen Musikszene unseres Landes? Glauben Sie, dass Künstler in Griechenland genügend Raum und Akzeptanz finden, um innovative Ideen zu präsentieren, oder ist es notwendig, dass sie das Land verlassen, um sich künstlerisch weiterzuentwickeln? Glauben Sie andererseits, dass das griechische Publikum bereit und willens ist, experimentellen künstlerischen Vorschlägen Interesse zu zeigen? Wie unterscheidet sich Ihrer Meinung nach das griechische Publikum von dem in anderen Ländern, wenn es darum geht, neue, innovative künstlerische Ideen wahrzunehmen und zu schätzen?

Ich folge, so sehr ich kann, den zeitgenössischen Projekten, die in Griechenland stattfinden. Es gibt leider viel zu wenig Veranstaltungen mit modernen, experimentellen Projekten. Ich finde es z.B. nicht akzeptabel, dass das zentrale Konzerthaus Athens, das „Megaron“, keine Reihe mit zeitgenössischen Projekten anbietet. Wir leben im 21. Jahrhundert und unsere Haltung ist immer noch eine des 18. Jahrhunderts.

Die letzten Dekaden gibt es ein enormes Wachstum von jungen Leuten, die Musik lernen und das Land doch verlassen, weil das Studium und das Angebot immer noch begrenzt bleiben. Mit den Musikern, die in Griechenland leben, könnten man problemlos mehrere zusätzliche Orchester und Ensembles gründen. Die Konkurrenz wäre dadurch auch größer und würde das Gesamtniveau auf dieser Art gesteigert werden.  

Mit Sicherheit muss das Ausbildungssystem für Musik auf allen Ebenen dringend überdacht werden. Das Publikum braucht auch Erziehung durch ein vielseitiges Angebot – sonst bleibt es unerfüllt auf der Strecke. Wie kann man sich dann beschweren, dass es nicht genug Publikum für die verschiedenen Veranstaltungen gibt?

  • Als Griechin der Diaspora und Künstlerin mit herausragenden Werken und internationaler Anerkennung: Welche Eigenschaften zeichnen Ihrer Meinung nach Griechen im Ausland aus, die ihnen helfen, hervorzustechen und internationale Auszeichnungen sowie Anerkennung zu erhalten?

Die Möglichkeit ein anspruchsvolleres, konsequentes Studium zu erleben und dadurch sich zu entfalten ist eine große Hilfe, ein wichtiger Impuls, um den Geist mit Informationen und Herausforderungen zu füttern.

Die vielfältigen künstlerisch-kulturellen Angebote und Anregungen in vielen anderen Ländern bringen Neugier und Mut, weiter kommen zu wollen. Alle Griechen und Griechinnen, mit denen ich in Berlin gemeinsam studiert hatte und die meisten Studenten, die aus Griechenland nach Deutschland kommen, ergreifen mit Kraft und Neugier die Möglichkeiten, die das Studium anbietet.

Es gibt kein Verhaltens-Rezept, wie man zum Ziel kommt; eins ist aber sicher: konsequente, willenskräftige und dauerhafte Arbeit an sich selbst – mit einem bestimmten Ziel vor Augen – muss man stark in seinem Herzen besitzen.

Stand, 13.11.2024


[1] Nils Mönkemeyer: viola https://www.youtube.com/watch?v=CCSUwH1ESuo&list=PLb0_x4-mLztFVuV8cOkcz4s2BYlhFyKSc&index=7

Website von Konstantia Gourzi: https://konstantiagourzi.com/

Fotos mit freundlicher Genehmigung von Konstantia Gourzi, entnommen von ihrer Website.

Titelbildnachweis: Foto von Gregory Giakis

(PS)