Mystrás, am Fuße des Gebirges Taygetos gelegen, 6 km nordwestlich von Sparta, ist heute eine Ruinenstadt, die sich von ihrer Zerstörung 1825 durch ägyptische Truppen nie mehr erholte. Doch bis heute blieben sieben Kirchen, Reste von Palästen, Klöstern und Häusern, sowie die hoch oben gelegene Burg erhalten, so dass sich vor dem geistigen Auge rasch das Aussehen einer lebendigen mittelalterlichen Stadt zusammenfügen lässt. Kaum ein anderer Ort vermittelt ein derart eindrucksvolles und nachvollziehbares Bild einer großen Stadt während des byzantinischen Kaiserreiches.

Der berühmte dritte Akt von „Faust II“, das Lebenswerk eines Dichters, das er im hohen Alter vollendete, beinhaltet eine Szene, die auf dem Peloponnes, in Mystrás spielt, in einer Burg, die damals zum einen kulturellen Mittelpunkt wurde und heute die einzige auf griechischem Boden gut erhaltene mittelalterliche Stadt der byzantinischen Zeit ist.

Goethe ist bekanntlich nie in Griechenland gewesen. Umso mehr liebte er jedoch die griechische Antike, die Tiefe und Würde der griechischen Kunst. Er hatte nur eine Lithographie des Engländers Gell von 1823 gesehen und daraus die romantische Schönheit des Ortes abgelesen. Er verlegte die symbolische Vereinigung von klassischer Schönheit in Helena mit Faust, als Repräsentant des Abendlandes, in die Nähe Spartas. Mystrás, die byzantinische Kloster- und Palaststadt, wirkt auch heute noch als verzauberter Ort.

Die «feste Burg», welche die malerischen Ruinen Mystrás überragt, baute gegen Mitte des 13. Jh. Guillaume de Villehardouin, ein fränkischer Kreuzritter, der  nach der Eroberung Konstantinopels im Jahr 1204 auf Peloponnes kam und blieb. Er heiratete eine schöne byzantinische Prinzessin, nach deren Beschreibung in einer Chronik Goethe seine Helena gestaltet haben soll.

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Die fränkische Herrlichkeit dauerte jedoch nur kurze Zeit. 1262 wurde Mystrás byzantinisch und religiöser, militärischer und vor allem kultureller Mittelpunkt des Peloponnes. Dichter und Philosophen lebten hier. Der bekannteste ist Georgios Gemistós Plethon (1355/1360-1452), der um 1400 in Mystrás eine Akademie nach dem Muster der platonischen Akademie gründete, in der die antiken Autoren erneut studiert wurden. Sein Einfluss reichte bis nach Florenz, wo er die Medici mit seinen Ideen besonders inspirierte.1453, nur ein Jahr nach Gemistos’ Tod, wurde Konstantinopel, die Hauptstadt des byzantinischen Kaiserreiches, von den Türken erobert, 1460 fiel dann auch Mystrás.

Klöster und Kirchen wurden während der zweihundertjährigen byzantinischen Blütezeit gebaut, die man mit herrlichen Wandmalereien schmückte. Weltbekannt sind das Pantánassa-Kloster und seine von acht Kuppeln gekrönte Kirche. Es ist von allen Bauten Mystrás am besten erhalten. Die der «hochheiligen Gottesgebärerin und Allherrscherin» (Pantánassa) 1428 geweihte Kirche ist eine interessante Komposition von dreischiffiger Basilika und Kreuzkuppelkirche. Sie ist, wie ja alle, der Schatz einer Metropole des byzantinischen Mittelalters, die den Besucher noch heute überwältigt. Die Kirchen Mystrás werden zum Bilderbuch byzantinischer Malerei des späten 13., des 14. und 15. Jahrhunderts. Man betritt jede der sieben Kirchen und auch die kleinen Grabkapellen voller Neugier auf die Geschichten aus dem Alten und dem Neuen Testament, die an Wänden, Kuppeln und Apsiden erzählt werden.                     (AL)