Nikos Kazantzakis (1883 – 1957) gehört zweifellos zu den ganz großen Gestalten der heutigen griechischen Literatur. Sein opus magnum „Odyssee“ (griechisch: „Odissia“) erschien erstmals 1938 in nur 300 Exemplaren dank der großzügigen Spende einer steinreichen Engländerin, die nicht nur von dem Umfang dieser epischen Dichtung beeindruckt war, welche umfangreicher ist als die homerischen Epen Ilias und Odyssee zusammen (beide zählen etwas mehr als 28.000 Verse). An dem Riesenwerk arbeitete unermüdlich der Dichter fünfzehn Jahre lang. Es wurde siebenmal umgeschrieben, bis die mehr als 42.000 siebzehnsilbigen Verse der ersten Version auf die 33.333 Verse reduziert wurden.
Die „Odyssee“ des Nikos Kazantzakis ist thematisch eine Fortschreibung der homerischen Odyssee. Dem nach Ithaka zurückgekehrten Odysseus erscheinen die Heimatinsel zu klein und ihre Bewohner zu engstirnig, um seinem Bedürfnis nach Selbstentfaltung und Grenzüberschreitung gerecht zu werden. Daher schart er neue Gefährten um sich und bricht zu einer weiteren abenteuerlichen Reise auf, die ihn über Sparta, Kreta und Ägypten bis nach Zentralafrika führt. Schließlich gelangt er zum Südpol, wo er in dem Glauben, seine absolute Freiheit erlangt zu haben, stirbt.
Kazantzakis erhebt in seiner „Odissia“ den Anspruch, eine moderne Theorie über den Menschen und die Welt zu entwerfen. Durch seinen thematischen Ansatz, seine formale Gestalt und das Auftreten zahlreicher mythischer Personen schließt sich das Werk unmittelbar der homerischen Odyssee an. Es handelt sich hierbei um sein größtes Werk, wie Kazantzakis selber immer wieder betonte, das nunmehr erstmals in einer zweisprachigen Ausgabe zum 60. Todestag des Dichters in Deutschland neuaufgelegt wurde. (A.L)