Ein neuer Gesetzesentwurf dient dem Ziel, die Anwendung des Gesetzes von Sharia im westlichen Thrakien (wo eine muslimische Minderheit in Nordgriechenland lebt) einzuschränken. Der Griechische Premier Alexis Tsipras hat vor kurzem darauf hingewiesen, dass das Gesetz auf eine Regelung der Ungleichheiten, die die Muslimische Minderheit betreffen, im Allgemeinen abzielt. Gleichzeitig betonte der Bildungsminister Kostas Gavroglou, während des Treffens des zuständigen Parlamentsausschusses, dass dieses Gesetz ein Schritt in Richtung Gleichheit und Demokratie ist und beansprucht, in einem europäischen Rahmen, die notwendige Achtung der Rechte der betroffenen Minderheit in Griechenland zu gewährleisten.
Greek News Agenda sprach mit Konstantinos Tsitselikis, Professor der Fakultät für Slavistik, Orientalistik und Balkanstudien an der Makedonia-Universität von Thessaloniki, über den Rechtsstatus der muslimischen Minderheit in Griechenland, über die obligatorische Anwendung der Sharia und ihren Einfluss auf das Leben der griechisch-muslimischen Gemeinde in der Region.
Tsitselikis ist der Meinung, dass der neue Gesetzesentwurf ein positiver Schritt ist und einen wesentlichen Zugang zum Zivilrecht vermittelt, da die Minderheitenrechte nicht gegen die grundlegenden Menschenrechte verstoßen sollten. Er fügte auch hinzu, dass das Sharia-Gesetz in Übereinstimmung mit den Menschenrechten und den menschlichen Werten umgesetzt werden sollte. Er erklärte,dass wenn man sich nur mit Religionsfragen beschäftigt und ökonomische Faktoren überhaupt nicht berücksichtigt werden, dann große Teileder Minderheit aus der Mainstream – Gesellschaft ausgeschlossen werden und ihre volle Integration in die Gesellschaft nicht erreicht wird.
Die Forschungsgebiete des Professors Tsitselikis sind folgende: Minderheitenrechte, Menschenrechte und Internationales Recht. Er hat außerdem für den Europarat, die OSZE, die Vereinten Nationen, die EU gearbeitet, und war auch Präsident des griechischen Vereins für Menschenrechte. In den vergangenen Jahren führte er Forschungen mit Bezug auf die griechisch-orthodoxe Minderheit in der Türkei, sowie auf die muslimische Minderheit in Griechenland durch.
Erzählen Sie uns von dem Rechtsstatus der muslimischen Minderheit im westlichen Thrakien. Unter welchen Bedingungen wurde die Sharia in Griechenland eingeführt und warum ist sie bis heute gültig?
Nach dem Griechisch – Türkischen Krieg (1919-1922) und nach dem Untergang des Osmanischen Reiches und nach der Gründung der türkischen Republik, hatte dieLausanner Konferenz Maßnahmen getroffen, die mit Bevölkerungsaustausch zu tun hatten, hier der Bevölkerungsaustausch als legitimes Mittel nationaler Homogeniesierung gedacht. Der Bevölkerungsaustausch zwischen beiden Ländern wurde als eine Gegenmaßnahme zur Vertreibung der Griechen aus Kleinasien beschlossen. Mehr als 400.000 Moslems wurden zur Flucht in dieTürkei gezwungen. Dennoch, waren unter dem Abkommen von Lausanne (Januar 1923) vom Bevölkerungsaustausch ausgenommen: a) die griechisch-orthodoxe Bevölkerung von Istanbul, Imvros, Tenedos b) dieWestthrakientürken. Der endgültige Vertrag von Lausanne (von Juli 1923) garantierte die Minderheitenrechte für die nichtmuslimische Bevölkerung der Türkei, sowie für die muslimische Bevölkerung Griechenlands. Seit 1923 werden die Minderheitenrechte im Bereich der Bildung, die zweisprachigen Schulen, der Schutz des Gemeindeeigentums (waqf-vaki-vakoufia), die freie Religionsausübung im Hinblick auf Moscheen, der Schutz der religiösen Führer (Imamen und Muftis) garantiert. Die drei Muftis von Thrakien hatten eine besondere Gerichtsbarkeit für Familienerbe und Familienangelegenheiten. Das ergibt deutlich aus dem Lausanner Vertrag Artikel 42 paragraph 1, & 45. Das Muftirecht ist bis heute gültig, wenn auch mit einigen Einschränkungen. Vor der Einführung des neuen Gesetzesentwurfs waren die drei derzeitigen Muftis in Thrakien (Xanthi, Komotini, Didimoticho) zuständig für familieninterne Streitereien, Erbstreitigkeiten zwischen muslimisch-griechischen Staatsbürgern. Sehr häufig aber halten die griechischen Gerichte die Gerichtsbarkeit des Muftis als verpflichtend, als verbindlich und ausschließlich, was eine negative Auswirkung auf das Leben der Moslems in Thrakien hat.
Wie beeinflusst die obligatorische Anwendung der Scharia das Leben der griechisch-muslimischen Gemeinde? Welche sind die am stärksten betroffenen Bevölkerungsgruppen?
Die obligatorische Anwendung der Sharia hat zwei Formen angenommen: a) Wenn das Zivilgericht die Annahme einer von einem Moslem eingereichten Antrag verweigert und der Fall an die Entscheidung des Muftis zurückverwiesen wird, (z.B. Frauen, welche die Scheidung einreichen) b) Wenn das Zivilgericht die Umsetzung des Zivilrechtes ablehnt (z.B. für besondere erbschaftsrechtliche Fälle, öffentliche Testamente). Daher sind die Frauen die am stärksten betroffenen Segmente der Bevölkerung, sowie diejenigen, die ein Testament nach dem Zivilrecht verfassen. Im weiteren Sinne kann ein jeder Schaden erleiden (aufgrund mangelnder Rechtssicherheit). Darüber hinaus, sind auch die Kinder geschiedener Eltern am stärksten betroffen.
Was würden Sie antworten, falls jemand behaupten würde, dass die Anwendung der Sharia unbedingt notwendig für den Schutz der religiösen Rechte der Minderheit ist?
Häufig ist die Umsetzung des islamischen Rechtes ein Teil des Minderheitenschutzes. Wenn das der Fall ist, sollte das islamische Recht gegen die grundlegenden Menschenrechte nicht verstoßen. Die Minderheitenrechte ohne einen allgemeinen Rahmen für die Menschenrechte sind nicht umsetzbar. Daher, sollten die Minderheitenrechte nicht die grundlegenden Menschenrechte verletzen, die den Grundpfeiler unserer Demokratie darstellen.
Wie sehen Sie die von diesem neuen Gesetz eingeführten Änderungen? Wird es sichergestellt, dass das Islamische Recht nur in Ausnahmefällen umzusetzen ist?
Der neue Gesetzesentwurf führt mehrere Änderungen ein und stellt einen positiven Schritt dar, weil diese neue Rechtslage eine gesetzliche Anomalie wiederherstellt und den gleichen Zugang zum Zivilrecht gewährleistet. Das islamische Recht wird nur umgesetzt, wenn beide Parteien dies wünschen oder beide sich darauf geeinigt haben. Hier sei anzumerken, dass diese Änderung von einem Falle bei einem griechischen Gericht ausgelöst, und danach beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg geurteilt wurde. Ein Griechischer kinderloser Moslem in Thrakien, bestimmte, laut seinem öffentlichen Testament, dass seine Ehefrau von ihm sein gesamtes Vermögen erbt. Nach der Islamischen Sharia aber, hätten die Schwestern des verstorbenes Anspruch darauf, dass sie auch einen Teil des Vermögens (3/4) erben. Nach einem Rechtstreit zwischen dem Berufungsgericht in Thrakien und dem Obersten Gerichtshof über die Frage, welches Recht in diesem Falle anwendbar wäre ( Sharia oder Zivilrecht), behandelte die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg den Fall und verkündete am 19. Dezember 2017 eine Reihe von Änderungen des Islamischen Rechtes in Thrakien. Im November kündigte der Griechische Premier aus Komotini an, dass die Sharia nicht mehr obligatorisch sein wird, sondern freiwillig für diejenigen, die sie nach der Sharia geurteilt werden möchten.
Glauben Sie, dass die Sharia in Zukunft völlig abgeschafft werden sollte?
Um die Sharia als Teil des Griechischen sowie des Europaischen Rechteszu betrachten, müssen zwei Bedingungen erfüllt werden. Erstens, dass es keine Verletzung der Menschenrechte gibt, zweitens, dass die Mietglieder der Minderheit in der Wahl des umsetzbaren Gesetzes frei sind.
Die Regierung hat zwei Möglichkeiten: Erstens die Sharia sowie die Gerichte von den Muftis abzuschaffen. Zweitens, die Bedingungen in Bezug auf die Anwendung der Sharia durchzusetzen. Die Griechische Regierung scheint den zweiten Weg gewählt zu haben. Ich glaube, dass in naher Zukunft nur ein kleiner Prozentsatz von Streitigkeiten durch den Mufti entschieden werden wird. Die Mehrheit wird das Zivilrecht bevorzugen. Die Frauen werden eine wichtige Rolle bei ihrer Emanzipation spielen. Dennoch wird die Sharia vom Mufti umgesetzt, aber das ist nur ein Aspekt des Problems. Die Art, wie die Muftis ernannt werden, ist auch ein Thema, das jahrelang ungelöst geblieben ist und nunmehr behandelt werden muss. Es scheint, dass die Regierung die Wahl des Muftis direkt von der Minderheit erwägt.
Gibt es legislative und andere Maßnahmen zur weiteren Integration und Gleichbehandlung der muslimischen Minderheit in Thrakien?
Die muslimische Minderheit in Thrakien ist als Teil der griechischen Gesellschaft gleich zu behandeln und nicht mit besonderen Maßnahmen zu diskriminieren, die den Rechtsstaat in Frage stellen. Natürlich sind einige besondere Maßnahmen erforderlich, damit die Gleichbehandlung der schwachen Gruppen, wie die muslimische Minderheit, gewährleistet ist. Andererseits, sind einige Merkmale, wie die nationale oder ethnische Identität, die Sprache oder die Religion nicht die einzigen Merkmale, die heutzutage eine Minderheit definieren. Soziale Ausgrenzung und Armut bilden heute die Hauptursachen, welche die Besonderheiten einer Minderheit bestimmen. Wenn man nur mit der Sprache oder der Religion zu tun hat, ohne Berücksichtigung von wirtschaftlichen Faktoren, so dass weitere Teile der Bevölkerung sich ausgeschlossen fühlen, dann wird die Integrationüberhaupt nicht gefördert. Um die Integration zu verwirklichen, müssen wir gleiche Chancen, ohne religiöse oder nationale Hindernisse, schaffen.
(Übersetzung aus dem Englischen: A. Pap.)