Jahrzehnte lang hat Herbert Speckner als Journalist großer deutscher Printmedien und der amerikanischen Nachrichtenagentur Associated Press das aktuelle Zeitgeschehen wachsam verfolgt und beschrieben. Danach übernahm er die Öffentlichkeitsarbeit des Otto-König-von-Griechenland-Museums, machte es im weiten Umkreis bekannt, erforschte nun ebenso wachsam die Bayerisch-griechische Geschichtsepoche und schrieb seine Erkenntnisse in mehreren Büchern nieder. GRIECHENLAND AKTUELL sprach mit dem Autor, Übersetzer griechischer Literatur und promovierten Historiker über den ersten griechischen König, das ihm gewidmete Museum in Ottobrunn nahe München und seine besonderen Exponate.
GRIECHENLAND AKTUELL: Sie sind nicht nur Historiker, sondern auch ein großer Kenner der neuesten griechischen Geschichte. In Ihrer letzten Studie, welche Sie dem ersten griechischen König Otto widmen, erzählen Sie von unerfreulichen Ereignissen aus dem Jahr 1994. Die Ottobrunner Delegation, welche in Nauplia ein Denkmal König Ottos enthüllen wollte, wurde von einer aufgebrachten Menge nicht gerade freundlich begrüßt und empfangen. Ist König Otto und seine 30jährige Regierungszeit aus Ihrer Sicht heute in Griechenland unbeliebt?
HERBERT SPECKNER: Zunächst: Die unerfreuliche Szene aus dem Nauplia von 1994 habe ich deshalb aufgezeichnet, weil sie zu einem erfreulichen Ergebnis führte. Die jungen Leute, die da auf Transparenten und mit Sprechchören gegen den Besuch der Ottobrunner Delegation aufbegehrten, taten das deshalb, weil sie die Repräsentanten des Otto-Museums, die vom Bürgermeister zur Einweihung des Otto-Denkmals eingeladen worden waren , allen Ernstes für Vasilofrones, auf Deutsch Royalisten, hielten. Dieser absurden Meinung waren auch nicht wenige Griechen, die in unser Museum kamen. Deshalb haben wir das Museum schon vor Jahren umbenannt. Vorher hieß es König-Otto-von-Griechenland-Museum, jetzt heißt es Otto-König-von-Griechenland-Museum. Das heißt, das Museum ist nicht dem König, sondern dem Menschen Otto gewidmet und mit ihm den vielen Bayern und Griechen, die gemeinsam mit ihm das junge Griechenland nach der Befreiung aufbauten.
Was Otto und seine bayrischen Entwicklungshelfer in Griechenland alles auf die Beine gestellt haben, wird im Museum genau dokumentiert, und das ist eine ganze Menge. Da viele, ja die meisten Griechen das heute aber nicht wissen oder nicht mehr wahr haben wollen, ist Otto bei ihnen tatsächlich unbeliebt. Auch manche griechischen Museumsbesucher kommen mit großen Vorurteilen an. Das gilt aber Gottlob nicht für alle. Wer sich wirklich unvoreingenommen mit der bayerisch-griechischen Geschichte befasst, weiß Otto durchaus zu würdigen. Das bestätigen uns griechische Freunde immer wieder.
Welche ist heute die Hauptaufgabe des Otto-König-von-Griechenland Museums der Gemeinde Ottobrunn nahe München?
Meine letzte Antwort sagt es ja schon: Das Museum soll dokumentieren, und das tut es mit mehr als 500 Exponaten, was sich in der Ära König Otto wirklich getan hat. Wir zeigen das Positive, verschweigen aber auch nicht die Fehler und Irrtümer, die damals begangen wurden – von Bayern wie von Griechen. Zum Beispiel, dass die bayrischen Neuankömmlinge in ihrem philhellenischen Idealismus tatsächlich wähnten, sie kämen mit ihrem im Gymnasium gelernten Altgriechisch im Hellas von 1833 zurecht, dass ihnen vor allem aber auch die Mentalität der Griechen lange Zeit ein Buch mit sieben Siegeln war. So dauerte es lange, bis sie kapierten, dass sie nicht im Athen des Themistokles gelandet waren, sondern in einem Land, das noch vor kurzem eine elende und vernachlässigte Randprovinz des Osmanischen Reichs gewesen war, dem sie nun aber in aller Eile eine moderne Verwaltung überstülpen wollten.
Das Museum zeigt aber auch mit Gemälden, Lithographien und Dokumenten, dass die Griechen ihrerseits sich von Illusionen und Wunschdenken täuschen ließen. So begrüßten sie zum Beispiel 1833 den 17-jährigen Otto buchstäblich als „Soter kai elpida tis Ellados“, also als Retter aus aller Not, ja als zweiten Heiland und so erwarteten sie Wunderdinge von ihm und den Seinen, die Otto beim besten Willen nicht leisten konnte. Vor allem gelang ihm nicht die Verwirklichung der „Megali Idea“, der Ausdehnung des kleinen Griechenlands von 1833 auf alle Gebiete, in denen Griechen damals lebten. Daraufhin schlug die Begeisterung vieler Griechen in Enttäuschung um. Das war auch mit einer der Gründe, weshalb sie Otto 1862 wieder nach Hause schickten.
All das versucht das Otto-Museum zurecht zu rücken. Und Professor Jan Murken, der Gründer und Leiter des Museums, ist stolz darauf, dass viele Besucher nach einer Führung sagen: „So war das also. Wir hatten uns das alles ganz anders vorgestellt.“
Eine Reihe von ganz neuen Erkenntnissen aus der Otto-Zeit haben wir auch in einer Museums- Schriftenreihe festgehalten, damit sich ein noch weiterer Personenkreis daraus informieren kann. Und wenn Politiker von heute, egal ob aus Brüssel oder aus Athen, den Weg ins Museum fänden, um sich an dem zu orientieren, was damals geleistet wurde und aus den Fehlern zu lernen, die damals begangen wurden, könnte vielleicht manch neuer Fehler vermieden werden.
Wie viele Besucher empfängt jährlich das Museum? Welche Altersgruppen sind es meistens?
Jedes Jahr zählt das Museum mindestens 1200 Besucher. Sie kommen nicht nur aus der Umgebung, wie man das bei einem Lokalmuseum erwarten könnte, sondern aus ganz Europa, vor allem aber auch aus Griechenland. Zahlreich sind die deutschen und griechischen Schulklassen, letztere vornehmlich aus München und Nauplia. Den neugierigen Fragen dieser Kinder verdankt das Museumsteam so manche Anregung.
Besucher mittleren Alters sind eher spärlich, warum auch immer.
Ab einem Alter von etwa 60 Jahren erwacht dann wieder das Interesse für die eigene Vergangenheit und die weithin unbekannte bayerisch-griechische Geschichte. Diesem Besucherkreis verdankt das Museum nicht wenige wertvolle oder kuriose Schenkungen. So das Tagebuch oder die Briefe eines Ahnherrn, der mit Otto in Griechenland tätig war, einen Erlöser-Orden für die dort geleisteten Dienste oder aber, größtes Kuriosum, einen silbernen Sturzbecher in Form eines Hundes, den Otto in seiner Exilzeit einem britischen Diplomaten aus Freundschaft, aber auch aus politischem Kalkül schenkte und den dessen Nachkomme, ebenfalls ein britischer Diplomat, in Athen wohnhaft und mit einer Griechin verheiratet, dem Museum zum Präsent machte, denn „dort ist er besser aufgehoben als in einer Vitrine bei irgend einem meiner Erben.“
Welche Exponate des Museums würden Sie besonders hervorheben?
Das Otto-Museum besitzt Kunstwerke von größter Rarität und unschätzbarem Wert, um die es sogar Nationalgalerien beneiden. Besonders stolz ist es aber auf eine Reihe von Exponaten, die eigene Geschichten erzählen, welche die griechisch-bayerische Geschichte in ganz neuem Licht erscheinen lassen. Ich nenne nur drei Beispiele.
Das Ottobrunner Museum besitzt den einzigen Originalplan des von KöniginAmalie inspirierten Schlossparks, des heutigen Nationalgartens, der die Zeiten überdauert hat. Es ist eine kolorierte Lithographie, stammt von Hand seines Schöpfers, des französischen Gartenarchitekten Francois Louis Bareaud und zeigt den Garten in allen Einzelheiten mit exakten Beschreibungen. Renommierte griechische Professoren, Landschaftsgärtner und Athener Bürger, die den in letzter Zeit vernachlässigten und immer wieder auch von kommerziellen Einschnitten bedrohten Garten seine ursprüngliche Schönheit zurück geben wollen, erbitten von uns regelmäßig Kopien unseres Gartenplans, denn dort finden sie genau die Argumente, die sie für ihre Aktivitäten brauchen.
Im Museum sind auch die sogenannten Moussouros-Teller zu sehen. Von dem ursprünglichen Dutzend besitzt das Museum sieben im Original, zwei weitere in Form von Kopien. Alle miteinander erzählen folgende Geschichte: Kostas Moussouros, ein gebürtiger Grieche, aber im Dienste des Sultans, war Gesandter der Hohen Pforte in Athen. Zu ihm kam eines Tages ein Adjutant König Ottos namens Tsamis Karatassos, der bei den Griechen als Freiheitsheld, bei den Türken aber als Terrorist galt. Er wollte nach Konstantinopel reisen, um eine Familienangelegenheit zu regeln und brauchte dazu dringend ein Visum. Moussouros verweigerte es ihm, worauf Karatassos zu Otto eilte und ihm sein Leid klagte.
Otto war empört und ließ es Moussouros spüren. Genau genommen war es eine eher milde Rüge, denn Otto sagte zu ihm nur: „Ich hätte gehofft, dass der König von Griechenland mehr Respekt verdiente, als sie ihm erwiesen haben, Monsieur.“ Damit brachte er jedoch einen Hexenkessel zum Kochen, denn das Was war harmlos, aber das Wo fatal. Otto rügte Moussouros nämlich auf einem Hofball vor dem gesamten Diplomatischen Korps. Diesen Schnitzer nutzten Scharfmacher bei der Hohen Pforte, aber auch der Otto feindlich gesinnte britische Botschafter Lyons, um aus einer Mücke einen Elefanten zu machen. Die Hohe Pforte verlangte von Otto einen Kniefall, er verweigerte ihn. Die ausgetauschten Noten wurden immer schärfer, vor dem Piräus kreuzten bereits Kriegsschiffe. Ein Krieg drohte und dazu war die griechische Armee nicht gewappnet. Was tun?
Wie so oft sprang König Ludwig I. seinem Sohn bei, schickte Brandbriefe an den Zaren und an den alten Fuchs Metternich in Wien und bat um Rat und Hilfe. Gleichzeitig aber ließ er eilends in Nymphenburg zwölf Schmuckteller von feinstem Porzellan anfertigen, ein Besänftigungsgeschenk für den Sultan oder aber für seinen Großwesir. Jeder dieser Teller zeigt eine andere bayerische Landschaft und eine ist immer lieblicher als die andere. Das hieß: So schön ist Bayern und so friedlich. Seid doch bitte auch ihr friedlich und macht hat keinen Krieg. Verziert war jeder Tellerrand mit goldenen Blättern auf purpurrotem Grund, beides Farben, die dem Hause Wittelsbach vorbehalten sind. Das hieß: Der bayerische König persönlich bittet um Nachsicht. Vor allem aber trug jeder Teller zwei Wappen. Das mit dem bayerischen Löwen war aber nicht oben angebracht, wo es hingehört hätte, sondern unten. Oben prangte jetzt der türkische Halbmond. Das hieß: Der bayerische Löwe wedelt vor dem vor dem mächtigen Sultan.
Und was geschah? Die wütenden Wogen beruhigten sich in der Tat, ein Krieg war abgewendet, eine Katastrophe verhindert. Ob das durch Ottos Einlenken, einen Schachzug Metternichs oder die Teller bewirkt wurde, ist nicht nachweisbar. Vermutlich hat alles zusammengewirkt.
Was aber ist die Moral von der Geschichte? König Ludwig war wirklich ein weiser Monarch, wo andere Kanonenboote geschickt hätten, schickte er Porzellanteller. Und die sind nirgendwo anders zu sehen als im Otto-Museum der Gemeinde Ottobrunn.
Ein Aha-Erlebnis besonderer Art erwartet den Besucher im Untergeschoss des Museums. Hier beschreibt eine Abfolge von Bildern den Weg Ottos von München bis nach Nauplia und zwar so: Ottos Abschied vom Familienkreis im Beisein von drei griechischen Delegierten in der Münchner Residenz. Die Ottosäule in Ottobrunn, die dort emporragt, wo Otto sich von seinem Vater verabschiedet, der ihn bis dahin, damals mitten im finsteren Tann gelegen, begleitet hatte. Ein Wandgemälde an einem Wirtshaus in Bad Aibling, wo Otto seiner Mutter Lebewohl sagt. Das Theresiendenkmal ebendort, das diesem Abschied gewidmet ist. Die Ottokapelle an der Grenze zu Österreich, wo Otto tränenreichen Abschied von seiner Heimat nimmt. Ein gigantisches Gemälde von Peter von Hess, das Ottos triumphalen Empfang in Nauplia zeigt. Das Tüpfelchen auf dem i ist schließlich ein weiteres Gemälde. Darauf betrachtet König Ludwig mit seiner Familie eben diesen Einzug Ottos in Nauplia so andächtig, wie brave Christen vor einem Altarbild verweilen.
Und was kann man daraus lernen? Betrachtet man jedes Bild einzeln, sieht man nur Materielles. Schreitet man aber die gesamte Bildfolge ab und betrachtet sie als ein Ganzes, so erkennt man auf einmal: Das ist ja ein regelrechter Prozessionsweg, eine Via Sacra. Die einzelnen Erinnerungsdenkmale an Otto sind die Stationen, das Ziel aber ist nicht das gelobte Land Jerusalem, sondern das geliebte Land Hellas.
Damit ist in wenigen Bildern der Zeitgeist einer ganzen Epoche eingefangen. Denn der Philhellenismus war es, der den europäischen Freiwilligen den Mut gab, ihr Leben im griechischen Freiheitskampf von 1821 in die Schanze zu schlagen. Er bewog König Ludwig I., seinen Sohn Otto nach Griechenland zu entsenden. Und mit seiner schon beinahe religiös zu nennenden Glaubenskraft beseelte er auch die 3.500 bayerischen Entwicklungshelfer, Soldaten, Verwaltungsexperten, Juristen, Forstleute und Handwerker, die dem jungen Otto nach Griechenland folgten. Wer das bezweifelt, möge ins Otto-König-von-Griechenland-Museum der Gemeinde Ottobrunn kommen und sich mit eigenen Augen davon überzeugen.