Vor wenigen Tagen ist ein transnationales deutsch-griechisches / griechisch-deutsches Migrations-Projekt mit Ausstellung zu Ende gegangen. Die Ausstellung, die im Stadtarchiv in Wiesbaden stattfand, stand unter dem Titel:„Man ist nur so lange fremd, bis man sich kennt“. GRIECHENLAND AKTUELL sprach mit der Kuratorin Maike Wöhler, Autorin, Kulturwissenschaftlerin, Projektkoordinatorin und dem Sozialwissenschaftler, Politologen und Kurator Christos Mantzios über diese deutsch-griechische / griechisch-deutsche Ausstellung, über die griechischen Migrantinnen und Migranten, über den Prozess der Integration und über das Besondere an der Integration der nach Deutschland zugewanderten Menschen aus Griechenland.

Lesen Sie hier das Interview:

1. Worum geht es in der ersten deutsch-griechischen / griechisch-deutschen Ausstellung, die bis 1. Oktober im Stadtarchiv Wiesbaden stattgefunden hat?

Mit dieser Ausstellung soll nicht nur ein Beitrag zur aktuellen Migrationsarbeit geleistet werden, sondern es soll zugleich ein Erinnern an die noch andauernde Integrationsarbeit und Integrationsleistung der griechischen Migrantinnen und Migranten der Region erfolgen. Die Ausstellung „Man ist nur so lange fremd, bis man sich kennt“ basiert auf den Forschungsergebnissen des gleichnamigen Buches über die griechische Arbeitsmigration der Kuratorin Maike Wöhler.

Die Geschichte der Migration ist oft in ihren Abläufen und Prozessen auf heute übertragbar und damit eine wichtige und unverzichtbare Hilfestellung für zugewanderte Menschen, die diesen oft mühsamen Prozess erst beschreiten müssen.

In einer „Willkommensgesellschaft“ ist es wichtig, die vielfältigen Integrationsleistungen der Zugewanderten zu würdigen und ihnen eine gesellschaftliche Plattform zu geben.

Wir lernen heute aus der Geschichte von gestern. Es soll eine Sichtbarmachung diverser Identitäten und Kulturpraktiken erfolgen mit dem Ziel, Diskriminierungen entgegenzuwirken.

 

2. Wird es weitere Ausstellungen dieser Art in der nächsten Zukunft in der Bundesrepublik geben? 

Da die Menschen der Aufnahmegesellschaft und die Zugewanderten in dem Prozess der Migration und Integration aktiv miteinander agieren, haben wir ganz bewusst ein deutsch-griechisches/griechisch-deutsches kuratorisches Projekt realisiert. Dieses Ausstellungs-Projekt wird im Rahmen des Bundesprogrammes „Demokratie leben!“ gefördert.

Der Begriff der Integration wird als ein andauernder und flexibler Prozess der Annäherung, des gegenseitigen Kennenlernens verstanden. Der Blick auf die individuelle Kultur des Deutschlernenden und das gegenseitige Annähern und Erkunden mit einem vielfältigen System an Orientierungen und Präferenzen stehen im Vordergrund und nicht die Annahme von gegebenen geschlossenen Kulturen.

Diese deutsch-griechische Kooperation und die Resonanz vor Ort ist inzwischen so erfolgreich, dass wir auch in 2022 unser „transnationales Migrations-Projekt“ gemeinsam fortführen wollen.

 

3. Kann man heute von einer guten, gelungenen Integration der GriechenInnen in der Bundesrepublik sprechen? 

Die Generation der ersten griechischen Arbeitsmigrant*innen, anfangs oft aus ländlichen, strukturschwachen Regionen Nord- und Mittelgriechenlands kommend, gelten trotz der anfänglichen fehlenden Sprach- und Integrationsangebote als „Integrationsgewinner“, so der frühere Bundespräsident Wolfgang Köhler anlässlich des Jahrestages des deutsch-griechischen Anwerbeabkommens im Jahr 2010. Allerdings sei hier kritisch angemerkt, dass die Bezeichnung „Gewinner“ gleichzeitig auch „Verlierer“ umfasst – und somit eine versteckte oder offene Diskriminierung entsteht und andere ethnisch-kulturelle Gruppen somit benachteiligt.

Als sich der temporäre Status der griechischen „Gastarbeiter“ wandelte, nach und nach ihre Familien nachgeholt wurden, entwickelte sich eine eigenständige Integration der 2. Generation und der Folgegeneration. So wurde auf die Schul-Bildung der Kinder hohen Wert gelegt, hatten doch oftmals die Eltern nur einige Jahre Schulbildung, da sie als Kinder und Jugendliche nach Deutschland kamen.

Interessant ist hier, dass die höheren Bildungsabschlüsse der 2. Generation über 80% betrugen und fast ebenso viele ein Studium in Deutschland oder Griechenland abschlossen.

 

4. Was ist das Besondere an der Integration der griechischen zugewanderten Menschen in Deutschland?

Die Interviews der befragten Griechinnen und Griechen ergaben, dass die gesellschaftliche Integration nicht an eine komplette Assimilation in die Aufnahmegesellschaft und einer Aufgabe kultureller und nationaler Identität geknüpft ist, sondern vielmehr an individuelle Chancen auf gesellschaftliche und soziale Teilhabe.

Keiner der befragten Griechen*innen war längere Zeit arbeitslos, selbst in Übergangszeiten (Jobwechsel, berufliche Veränderungen etc.) waren sie im Dienstleistungssektor tätig oder machten sich selbstständig.

Ausschlaggebend für eine erfolgreiche soziale Integration sind gute Bildungschancen und kulturelle Ressourcen, die als Aufstiegs- und Verbleibe-Orientierung dienten.

Werden die integrativen Bemühungen der Aufnahmegesellschaft und die Integrations-Offerten sichtbar und aktiv umgesetzt, geht das Gefühl der persönlichen Ausgrenzung, der Differenz zurück.

Das Resümee der Befragungen ergab genau dies: ohne ein respektvolles Aufeinander zugehen und eine Akzeptanz der Regeln, Normen, Gesetze und auch der Kultur Deutschlands wird es nur ein Nebenher geben. Ein „Nebenher“ von mehreren nationalen Parallelgesellschaften.

Heute sind die griechischen „Gastarbeiter*innen“ von damals vielfach Einwanderer*innen mit Migrationshintergrund und leben in der zweiten, dritten und vierten Generation in Deutschland. Die „neuen Deutschen“ erleben mittlerweile Integration im Sinne von Teilhabe ohne Aufgabe des Eigenen.

 

Das Interview führte Athanassios Lambrou.

Introbild: © Stadtarchiv Wiesbaden.