„Das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang“ schrieb der Dichter Rainer Maria Rilke in der Ersten von seinen berühmten „Duineser Elegien“. Was ist das Schöne? Was bedeutet das Schöne für unsere eigene Existenz? Was bedeutet der bekannte Satz Dostojewskis „Schönheit wird die Welt erlösen“? Dies sind Fragen, die so alt sind wie unsere Kultur. Auch wenn solche Fragen die antike griechische Kunst nicht direkt oder indirekt beschäftigten, doch das Schöne, wie die Künstler in Griechenland im fünften Jahrhundert es bestimmt haben, beherrscht immer noch unser Schönheitsempfinden.
Kallos. The Ultimate Beauty, Museum of Cycladic Art, Athen
Die Wahrheit der Kunst und des Kunstschönen schöpft aus dem uns umgebenden Wunder, aus der Herrlichkeit und der sinnlichen Seinsfülle. Sie liegt in der Durchdringung der Realität durch die Imagination. Schönheit in der klassischen griechischen Antike wird nicht nur als strenge Form begriffen, sondern als fließende Beweglichkeit, als Offenheit. Oder, wie es Platon verstand, das Schöne und das Gute bilden eine innere Einheit, denn das Schöne bewirkt das Gute.
In seinem bereits in der Antike vielgelesenen Dialog „Phaidros“ versucht Platon mithilfe eines Mythos, wie so oft in seinen Werken, den Begriff des Schönen näher zu bestimmen. Sokrates erzählt im Dialog „Phaidros“ mit großer Anschaulichkeit von einem Sturz der Seele aus der himmlischen Sphäre in das irdische Dasein, wobei sie das Gefieder verletzt. Doch das Schöne, z.B. ein schöner Junge erweckt in die Seele des Liebenden den Glanz der anfänglichen Schönheit, die sie im Himmel erstaunt erblickt hat. Die Schönheit, sagt Platon in seinem „Phaidros“ ist wie Balsam, der das abgebrochene Gefieder zu neuem Wachstum verhilft.
Das Schöne hilft dem Menschen den Weg zu sich selbst zu finden und die inneren Wunden zu heilen. Mehr noch: Die Schönheit hält die Verbindung aufrecht zur Welt des geschauten und wieder hier vergessenen Guten, worauf es eigentlich nur ankommt.
Den herrschenden Begriff des Schönen untersucht mit Detailgenauigkeit eine Ausstellung, die Ende September im „Museum für Kykladische Kunst“ in der Stadtmitte Athens feierlich eröffnet wurde und nur noch bis zum 16. Januar 2022 dauern wird.
Das vielfältige Schönheitsideal in der griechischen Antike wird anhand von 300 Kunstwerken beleuchtet, die aus mehreren griechischen Museen stammen, wie auch aus italienischen Museen, darunter aus den Museen des Vatikans, Roms, Florenz, Napoli, Bologna, Venedig u.a.
Es handelt sich um eine großartige Sammlung von Statuen, Objekten, Schmuck etc., die das Ideal des Schönen in der Antike anschaulich machen, welches immer noch für uns heute lebendig bleibt. Die Ausstellung führt vor Augen, wie sich das Schöne aus der archaischen Zeit (7. Jahrhundert v.Chr.) bis zur hellenistischen Zeit (1. Jahrhundert v.Chr.) wandelt und doch eine innere Einheit bildet. (AL)
Museum of Cycladic Art, Ausstellung: Kallos. The Ultimate Beauty
www.cycladic.gr
Facebook: CycladicArtMuseum