Die 1837 gegründete Nationale und Kapodistrias-Universität Athen ist die älteste universitäre Einrichtung des griechischen Staates (die Ionische Akademie wurde 1824 auf Korfu gegründet, aber die Ionischen Inseln wurden erst 1864 mit dem übrigen Griechenland vereinigt). Ihre Gründung ist nicht nur Teil der Bildungsgeschichte Griechenlands, sondern nimmt auch einen zentralen Platz in der Geschichte des griechischen Staates ein. Wie Costas Lappas (2004) betont hat, können die Orientierungen und Ziele der Universität nicht außerhalb des Rahmens des neuen Nationalstaates und seiner politischen und wirtschaftlichen Ambitionen verstanden werden.
Die ersten Schritte
Es war im Jahr 1837, nur 7 Jahre nach der offiziellen Gründung des souveränen griechischen Staates, als König Otto das Dekret unterzeichnete, das die Gründung der Universität Athen (damals „Ottonische“ genannt) genehmigte. Die Universität war in vier Fakultäten gegliedert: Theologie, Medizin, Rechtswissenschaften und Philosophie. Die Philosophische Fakultät wurde in zwei Abteilungen aufgeteilt: Philologie und Physik/Mathematik (Historisches Archiv der Universität Athen 2019). Der erste Sitz der Universität befand sich im Stadtteil Plaka, während das Hauptgebäude der Universität 1839 offiziell eröffnet wurde.
Die Universität Athen gilt als die erste nationalstaatliche Universität auf dem Balkan und im östlichen Mittelmeerraum (Karamanolakis 2018). Seine Organisationsprinzipien waren dem deutschen Modell nachempfunden, sowohl weil das Königshaus und ein Teil der nationalen Staatsverwaltung aus Bayern stammten, als auch weil eine große Zahl griechischer Akademiker und Intellektueller an deutschen Universitäten studiert hatten (Lappas 2004, Karamanolakis 2018).
Eine zentrale politische Rolle
Die Gründung der Universität war eine Reaktion auf drei grundlegende Bedürfnisse der damaligen Zeit: die Ausbildung von Führungskräften für die öffentliche Hand, die Schaffung einer Bildungseinrichtung für die vielen Auslandsgriechen, und schließlich die Verfestigung der regionalen Rolle, die Griechenland als kulturelle Brücke zwischen Europa und dem Osten spielen sollte (Karamanolakis 2018).
Die Universität war ein integraler Bestandteil des nationalen Projekts der „Großen Idee“ (griechisch „Μεγάλη Ιδέα“, „Megáli̱ Idéa“) ((Karamanolakis 2018 und Kiprianos 2007). Seit den ersten Jahren ihrer Existenz hatte sie eine besondere Stellung im öffentlichen Leben des Landes erlangt. Es sei darauf hingewiesen, dass die öffentliche Rolle der Universität offiziell dadurch anerkannt wurde, dass die Lehrkräfte während des gesamten Zeitraums 1844-1862 das Recht hatten, ihre eigenen Vertreter in das griechische Parlament zu wählen (Karamanolakis 2018, Lappas 2004). Gleichzeitig setzte sich die Studierendenschaft der Universität allmählich als entscheidender Faktor der sozialen Mobilisierung durch, wie z.B. bei der Bewegung gegen König Otto in den 1860er Jahren, aber auch bei den Protesten für den Erhalt der antikisierenden Form der griechischen Sprache („Katharevousa“, Καθαρεύουσα ‚die Reine [Sprache]‘) um die Jahrhundertwende. In diesem Sinne schienen verschiedene Ereignisse innerhalb der Universität (persönliche, politische oder sprachbezogene Konflikte) das Interesse der breiten Öffentlichkeit zu wecken (Karamanolakis 2018, Lappas 2004).
Die Wachstumsperiode
Der Sturz König Ottos und sein Weggang im Jahr 1862 brachten auch einen neuen Namen für die Universität, die in „Nationale“ umbenannt wurde. Gleichzeitig wurde in der neuen Verfassung von 1864 mit Artikel 16 die Verantwortung des Staates für die Finanzierung der Hochschulbildung anerkannt (Universität Athen – Zeitstrahl). Von diesem Zeitpunkt an wurde die Universität sowohl räumlich als auch wissenschaftlich stärker erweitert und damit ihre Rolle als Hauptvektor der Innovation innerhalb der griechischen Gesellschaft und in Bereichen wie Gesundheitswesen, Chemie oder Meteorologie beweisen (Karamanolakis 2018). Im Laufe des 20. Jahrhunderts war die Universität Athen eine Brutstätte des Wissens und der Forschung. Trotz einiger Demokratisierungsmaßnahmen, blieb die Hochschulbildung allerdings noch lange Zeit auf bestimmte gesellschaftliche Gruppen beschränkt (Lappas 2004). In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass die erste Studentin der Universität Ioanna Stefanopoli (1890) war, die an der Philosophischen Fakultät immatrikuliert war, während Aggeliki Panagiotatou 1908 zur ersten Professorin der Universität (an der Medizinischen Fakultät) wurde (Historisches Archiv der Universität Athen, 2019).
Spezialisierung und Wettbewerb
Die Jahrhundertwende markierte die Reorganisation der Fakultäten der Universität Athen – insbesondere die Autonomie der Fakultät der Physik und Mathematik (1904) und später der Chemie (1919) sowie die Gründung u.a. einer Zahnmedizinischen Fakultät. Die Universität war sogar für eine kurze Zeit, von 1911 bis 1922, in zwei Einrichtungen („Nationale“ und „Kapodistrias“) geteilt, bevor sie ihren endgültigen vollständigen Namen erhielt – „Nationale und Kapodistrias“ (Historisches Archiv der Universität Athen 2019).
Die Zeit nach 1922, nach der sogenannten „Kleinasiatischen Katastrophe“ und die Zwischenkriegszeit waren sowohl durch starke soziale Spaltungen als auch durch eine ungleichmäßige, aber beträchtliche Entwicklung gekennzeichnet. Dies hatte unter anderem die Ausweitung und Diversifizierung des griechischen Universitätsmarktes zur Folge, was unweigerlich zum Verlust des nationalen Monopols der Universität Athen führte. Insbesondere mit der Gründung der Universität Thessaloniki im Jahre 1926, aber auch mit der Schaffung spezialisierter Institutionen in Athen während dieser Zeit (Handelsschule und Schule für Agrarwissenschaft im Jahre 1920, die Pantios wirtschafts- und und politikwissenschaftliche Schule im Jahre 1930, die Industrieschule Piräus im Jahre 1938). Das Polytechnikum von Athen erhielt 1914 den Status einer Universität (Historisches Archiv der Universität Athen 2019).
Die Universität Athen und ihre Gemeinschaft von Professoren und Studenten werden auch im 20. Jahrhundert weiterhin ihren Einfluss auf die griechische Gesellschaft ausüben, selbst in den schwierigsten Zeiten, wie in der Zeit des „Regimes des 4. August“ (1936-1941), der Besatzung der Achsenmächte (1941-1944) oder während der Diktatur der Obristen (1967-1974). Die Universität wird die wissenschaftlichen und akademischen Entwicklungen der zweiten Hälfte des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts aufmerksam verfolgen. Heute ist sie eine der größten öffentlichen Universitäten in Griechenland und Europa (Karamanolakis 2018).
Originaltext: “Histoire | La première université d’un jeune État: la fondation de l’Université d’Athènes au 19ème siècle” in GrèceHebdo.gr
s.d.
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