Die Insel Tinos liegt in den Kykladen in der Nähe von Mykonos und ist vor allem für die Panagia-Evangelistria-Kirche und die darin aufbewahrte wundersame Ikone der Jungfrau Maria berühmt. Dies ist jedoch nicht das einzige Wahrzeichen, das eng mit der kulturellen Identität der Insel verbunden ist. Die Taubenschläge, die ausschließlich auf den Kykladeninseln und insbesondere auf Tinos zu finden sind, beeindrucken die Besucher durch ihre charakteristische Struktur.
Diese weiß getünchten, kunstvoll verzierten kleinen Gebäude, die „Peristeriones“ oder „Columbaria“ genannt werden (von ‚peristeri‚ und ‚columba‚, dem griechischen und lateinischen Wort für Taube), sind an Hängen gebaut, die vor den starken Winden der Kykladen geschützt sind, und wurden in der Nähe von Wasserquellen errichtet. Ihre Fassaden sind zum offenen Raum ausgerichtet. Viele haben zwei oder sogar drei Stockwerke, wobei das Erdgeschoss in der Regel größer ist. Wenn das Gelände nicht ausreichend vor dem Wind geschützt ist, gibt es eine oder zwei Seitenwände, um einen Windschutz zu schaffen.
Die Eingangstür ist aus Holz und hat keine Risse, um zu verhindern, dass Raubtiere wie Schlangen oder Ratten, die Tauben jagen, in das Gebäude gelangen. Der obere Teil des Taubenschlags hat zahlreiche Öffnungen, die klein genug sind, damit nur Tauben hinein- und hinauskommen können, aber keine größeren Vögel wie Krähen oder andere. Diese Taubenlöcher werden aus Schieferplatten, einem lokalen Gestein, geschaffen und präsentieren oft verschiedene dekorative Formen. Das Dach ist flach und aus Ton, und seine vier Ecken sind immer mit kleinen Säulen geschmückt.
Geschichte
Im Jahr 1207, nach dem Vierten Kreuzzug, wurde die Insel Tinos von den Venezianern besetzt. Zunächst wurde die Insel von der mächtigen Familie Ghisi eingenommen und 1390 der Republik Venedig vermacht, die sie bis zu ihrer Eroberung durch die Osmanen im Jahr 1715 hielt. Man geht davon aus, dass die Venezianer die Taubenzucht auf die Insel brachten. Sie hielten die Vögel hauptsächlich wegen ihres Kots, da Vogelguano ein äußerst wirksamer Dünger ist, der bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts in der Landwirtschaft weit verbreitet war.
Im mittelalterlichen Europa war der Besitz eines Taubenschlags ein Statussymbol und wurde tatsächlich durch Gesetz geregelt. Nur Adelige hatten dieses besondere Privileg, das sogenannte „Droit de colombier“. Nachdem die Insel unter osmanische Herrschaft kam, hatten auch die Einheimischen das Recht, Tauben zu halten, solange sie Land besaßen. Im 18. und 19. Jahrhundert wurden auf Tinos viele Taubenschläge gebaut, und die Einheimischen hielten Tauben nicht nur für den Guano, sondern auch für ihr Fleisch. Heute gibt es auf der Insel mehr als 1000 Taubenschlagsarten.
Im Jahr 2021 erschien ein Buch mit dem Titel The Dovecotes of Tinos: Strolling Through the Craft of Stonemasonry in 1955. Es enthält eine Auswahl von Notizen von Manuel Baud-Bovy, einem Studenten der Genfer Architekturschule, der Tinos 1955 zum ersten Mal besuchte und von diesen merkwürdigen Bauwerken beeindruckt war. Er erkundete die Insel und nahm Hunderte von Taubenschlägen auf. Ein weiteres Buch zu diesem Thema wurde 2020 veröffentlicht: The Complete Listing of the Dovecotes of Tinos (“Die vollständige Auflistung der Taubenschläge von Tinos”) von Manthos Prelorentzos.
Originaltext: Greek News Agenda, The dovecotes of Tinos Island
(PS)