- Der Beruf des griechischen Fremdenführers ist unmittelbar, sowohl mit dem Tourismus als auch mit der Darstellung seines Landes verknüpft. Können Sie uns einige Informationen über die Entwicklung Ihres Berufs geben und wie dieser in Griechenland organisiert ist?
Der erste Verweis auf ein offizielles Regierungsdokument zum Beruf des Fremdenführers findet sich im „Gesetz über die Fremdenführer“ von 1931. Dank diesesGesetzes wurde die erste Fremdenführerakademie gegründet, die seit 1935 in Betrieb war und deren Absolventen die offizielle Lizenz zur Ausübung des Berufs von der griechischen Touristenbehörde erhalten haben. Nach dem 2. Weltkrieg nahmder Touristenstrom nach Griechenland dramatisch zu,und daher hat die Nachfrage nach Fremdenführern für die Besichtigung der historischen Denkmäler des Landes erheblich erhöht. Um diesen neuen Bedürfnissen entgegen zu kommen und um die Qualität der Fremdenführer-Ausbildungzu sichern, hat der griechische Touristendienst die dauerhafte Einrichtung einer Fremdenführerakademie vorgeschlagen und auch geschaffen. Die Fremdenführer-Ausbildung wurde in den 60er Jahren einjährig und die Absolventen bekamen die Lizenz für den gesamten griechischen Landesbereich. Das wichtigste Gesetz, das den Fremdenführer-Beruf rechtlich absicherte, wurde 1977 verabschiedet und ist das Gesetz 710/77 „über die Fremdenführer“. Dieses Gesetz legt den rechtlichen Rahmen des Fremdenführer-Berufs bis heute fest (einige Änderungen zur Angleichung an die Gesetzgebung der Europäischen Union sind vorgenommen). In den 1980er Jahren wurde die Ausbildung der griechischen Fremdenführer zweijährig und im Jahr 1997 verlieh die europäische Organisation Cedefop der griechischen Fremdenführerakademie den ersten Preis für die beste Fremdenführerausbildung Europas. Im Zeitraum 2020-21 funktionieren fünf Fremdenführerschulen – inzwischen unterstehen sie dem Ministerium für Tourismus – in folgenden Städten: Athen, Thessaloniki, Korfu, Rhodos, Kreta. Heute sind circa 2500 staatlich geprüfte Fremdenführer in Griechenland tätig, die ihren Beruf in 30 Sprachen im ganzen Land ausüben.
- Die Fremdenführer sind die Vermittler zwischen den Touristen und dem Gastland. Wie nehmen die griechischen Fremdenführer diese Rolle wahr und wie begegnen sie den Gästen so vieler unterschiedlicher Nationalitäten?
Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, in denen die Fremdenführer regional arbeiten, sind die Fremdenführer Griechenlands im gesamten griechischen Gebiet tätig und führen oft mehrtägige Reisen durch, die mit dem Bus, Schiff, oder Flugzeug stattfinden.
Während solcher Reisen ergeben sich oft mehrstündige Fahrten, die der griechische Fremdenführer nutzt, um der Gruppe Informationen über die Natur, Geologie, Religion, volkstümliche Sitten und Gebräuche, Mentalität, Gastronomie, Politik und die internationalen Beziehungen des Landes zu geben. Der Fremdenführer zeigt den Gästen nicht nur die griechische Landschaft und die historischen Denkmäler, sondern versucht die Gäste mit der ganzen griechischen Kulturgeschichte von der Antike bis zur heutigen Zeit vertraut zu machen.
Der Fremdenführer versucht, Brücken zwischen der griechischen Geschichte und der aktuellen Landessituation und der Geschichte des Herkunftslandes der Gäste zu bauen. 2021 feiern wir, zum Beispiel, das 200jährige Jubiläum des Beginns des griechischen Freiheitkampfes. Ein französisches Publikum wird der Fremdenführer auf die Gemeinsamkeiten mit der französischen Revolution aufmerksam machen, dem amerikanischen Publikum gegenüber den Einfluss des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges auf den griechischen Freiheitskampf schildern und wenn die Gruppe aus Lateinamerika kommt, dann wird die Verbindung mit den einzelnen nationalen Aufständen und der Entstehung der lateinamerikanischen Staaten hervorgehoben. Auf diese Weise identifizieren sich die Gäste mit dem Jubiläumsereignis, das ihnen vertraut vorkommt, weil es eine Ähnlichkeit mit ihrer eigenen Geschichtswahrnehmung aufweist.
Der Fremdenführer baut also interkulturelle Brücken und beschränkt sich nicht nur auf die Führung von Museen und archäologischen Stätten.
- In welchen anderen touristischen Formen sind die Fremdenführer neben ihrem Beitrag zum historischen und archäologischen Tourismus tätig,unter Berücksichtigung der erhöhten und differenzierten Anforderungen der Gäste, die an neuen Tourismuskonzepten interessiert sind? Gibt es Kooperationen mit weiteren Tourismusanbietern im Land, sodass Programme aufgestellt werden können, die den neuen globalen Trends entsprechen?
Die griechischen Fremdenführersind aktive und informierte Bürger, die die aktuellen Ereignisse wahrnehmen und daher mit den zeitgenössischen Tourismus-Trends vertraut sind. Der Beitrag der Fremdenführerakademie und ihr Bildungsprogramm sind in diesem Punkt ausschlaggebend.Das Gewerbe der griechischen Fremdenführer ist für alle neuen Formen des Tourismus optimal geeignet. Die Dienstleistungen der qualifizierten Fremdenführer decken ein breites Spektrum des Tourismus ab, wie Gastronomie, Naturnähe, Agrartourismus, Konferenztourismus, Kundenkontakt mit der griechischen Zivilgesellschaft, Ökotourismus, Stadterkundung und alle anderen Bereichen, die mit den Bedürfnissen und Anforderungen der Gäste zu tun haben.
Die Gestaltung der Programme basiert vor allem auf der Berufserfahrung und der Kompetenz der Fremdenführer. Sie sind diejenigen, die in unmittelbaren Kontakt mit den Gästen kommen und ihre neuen Bedürfnisse und Interessen wahrnehmen. Das ist den Arbeitgebern (Reisebüros) bekannt und aus diesem Grund werden oft die Reiseprogramme mit Ratschlägen der Fremdenführer gestaltet.
Die griechischen Fremdenführer sind heute in Reiseprogrammen aktiv, die Weinkellereien, Ölpressen, Käsereien, Fischzuchtanlagen, Imkereien u.a. umfassen. Sie besichtigen mit ihren Gästen Städte und erklären die Esskultur des Ortes, die Architektur der Gebäude, die Geschichte des historischen Zentrums, das moderne Leben, und die Mythologie, die oft der Schlüssel zur Erklärung der Orts- und Straßennamen ist. Viele Fremdenführer leiten Wandertouren, bei denen sie über die charakteristische Flora und Fauna und die einmaligen Kräuterdes Landessprechen und ab und zu auch Pilze sammeln können.
Viele Fremdenführer sind im Pilgertourismus aktiv, wo sie mit ihrer Gruppe „auf den Spuren des Apostel Paulus“ reisen.
- Ihr Verband hat kürzlich eine Online-Veranstaltung abgehalten. Es ging um die Art und Weise, wie die türkischen Fremdenführer die griechischen Denkmäler in der Türkei präsentieren, aber auch um die Einstellung der türkischen Touristen in Griechenland gegenüber den griechischen Denkmälern. Wie verstehen Sie die Rolle der Fremdenführer zu dieser Thematik, nicht nur in Bezug auf die beiden Länder, sondern im Allgemeinen? Wie sollte die Herangehensweise an solche historischen Themen sein, damit eventuelle Spannungen vermieden werden und die Kommunikation reibungslos verläuft?
Die Themen, mit denen sich ein Fremdenführer befasst, sind immer vielfältig und beziehen sich nicht nur auf die Vergangenheit, sondernberühren auch die moderne und zeitgenössische Geschichte bis zu dem aktuellen Alltag.
Das Interesse der Gäste an solchen Themen istunabhängig von der Nationalitätgroß. Sie sind an folgenden Themen besonders interessiert: die Rolle Griechenlands in beiden Kriegen, insbesondere im 2. Weltkrieg, die Beziehungen zwischen Griechenland und der Türkei, die Wirtschaftkrise und neuerdings auch der Umgang mit der Pandemie.Themen, zu denen viele Gäste Erinnerungen, Ansichten und Meinungen aufgrund von eigener Erfahrung, Bildung und aktueller Information haben.
Der Fremdenführer wird häufig gebeten, Fakten zu nennen, zu präsentieren und zu erläutern,an denen die Gäste aufgrund ihrer Nationalität teilnehmen. In solchen Fällen muss die Darstellungsweise des Fremdenführers objektiv, dokumentiert, gelassen und ruhig sein. Diese Fähigkeit basiert auf der akademischen Bildung, Ausbildung undQualifikation, die der Fremdenführer bekam und weiter bekommt. Die Grenzen sind sehr fein und das Gleichgewicht besonders fragil, aber der professionelle Fremdenführer besitzt die Fähigkeit, nicht nur die historische Wahrheit zu präsentieren, sondern auch den aktuellen Standpunkt seines Landes zu vertreten, ohne Spannungen und Missverständnisse zu erzeugen und ohne die Kommunikation, das Gleichgewicht und den Zusammenhalt der Gruppe zu beeinträchtigen.
Wir kennen die Verantwortung, die wir unseren Gästen gegenüber tragen, und wir denken weiter darüber nach, durch den unmittelbaren und wesentlichen Kontakt mit ihnen dafür zu sorgen, dass sie sich willkommen fühlen – das ist der „Schlüssel“ der griechischen Gastfreundschaft -, dass sie die Attraktivität des Landes kennenlernen und gleichzeitig auch den abwechslungsreichen Verlauf der griechischen Vergangenheit und Gegenwart verstehen, ihre Reise genießen und bei ihrer Rückkehr, ihren Freunden positive Eindrücke und wesentlich schöne Erfahrungen vermitteln.
- Mehrere Ihrer Kollegen haben einen Master- oder sogar Doktortitel erworben. Organisiert der Fremdenführer seine Arbeit auf wissenschaftlich-akademischer Basis oder beschränkt er sich auf leichter zu verstehende Erklärungen?
Die Fremdenführer sind für diese Tätigkeit qualifiziert, weil sie u.a. wissbegierig und intellektuell interessiert sind. Diese Eigenschaften sind Merkmale ihrer Mentalität und bleiben während ihres ganzen Berufslebens unverändert erhalten. Eine enorm große Zahl der Fremdenführer hat einen Universitätsabschluss. In der Natur der Fremdenführung liegen auch die ständige Weiterbildung und Aktualisierung der zu vermittelnden Informationen.Das erworbene Wissen und die ständig aktualisierten Informationen stehen bei jeder Führung zur Verfügung, müssen aber selbstverständlich jedes Mal an das Publikum angepasst werden.Selbst der bestausgebildete Führer muss sein Fachwissen an sein Publikum anpassen, indem er komplizierte Begriffe weglässt oder sie vereinfacht. In bestimmten Fällen und bei Bedarf muss der Fremdenführer seine Erläuterungen auf akademischem Niveau abgeben.Die Anpassung der Informationen ist oftaufgrund des unterschiedlichen Zielgruppenniveaus wichtiger als die Information selbst.
- Die Entwicklung neuer Kommunikationstechnologien bietet neue Möglichkeiten im Bereich der Führungen. Glauben Sie, dass diese Entwicklung Ihrem Beruf schaden kann und welche ist die Rolle des Fremdenführers im neuen digitalen Zeitalter?
Es gibt praktizierte Modelle, die ganze Schritt-für-Schritt-Touren innerhalb einer archäologischen Stätte anbieten, so wie es vor Jahren bei Multimedia-Tour-Geräten(audio guides) der Fall war. Diese Geräte haben in Griechenland nie eine weite Anwendung erreicht, obwohl es sicher Gäste gibt, die eine (mit) Multimedia-Geräte-Tour vorziehen, hauptsächlich wegen der niedrigeren Kosten, oder weil sie ihr eigenes Tempo für ihre Reise bestimmen wollen.
Eine solche Tour-Anwendung hat jedoch eine ganz bestimmte Art, ein Museum oder eine Stätte zu erläutern und enthält ausgewählte Informationen. Im Gegensatz dazu kann der Gast bei einer „Live-Tour“ jederzeit eine Frage stellen, wenn er etwas nicht ganz verstanden hat, oder wenn ein Thema ihn besonders interessiert, abgesehen davon, dass bei der „Live-Tour“ der Gast mit dem Fremdenführer auch Themen diskutieren kann, die nicht unbedingt mit dem Führungs-Thema zu tun haben.
Wir glauben im Allgemeinen, dass der Charme der geführten Tour genau in der lebendigen und menschlichen Kommunikation liegt: die lebhafte Erzählungsweise, die Übertragbarkeit, die Dramatik, die Fähigkeit des Fremdenführers die Stimmung der Gruppe wahrzunehmen und seine Führung dementsprechend anzupassen, kurz gesagt, die menschliche Kommunikation während der Führung kann nicht durch Technologie ersetzt werden, außer in ganz bestimmten Fällen, dann aber mit geringen Anforderungen an das wirkliche Verständnis einer Stätte oder eines Museums.
*Das Interview wurde vom Fremdenführer-Verband den fremdsprachigen Bulletins des Generalsekretariates für öffentliche Diplomatie und die Auslandsgriechen des Außenministeriums gewährt.
Bildquelle: ©Fremdenführer-Verband
TAGS: Archäologie | Geschichte | Tourismus