Der Komponist Dimitri Terzakis nimmt eine Sonderstellung in der Neuen Musik ein. Sein Schaffen läßt sich schwer oder überhaupt nicht in eines der bekannten Schubfächer einordnen. Er komponiert weder eine traditionelle abendländische Musik noch die herkömmliche Musik des Balkans. Er ist ein Melodiker, aber sein melodisches Denken ist keiner Epoche der abendländischen Musik verpflichtet. In keinem seiner Werke gibt es ein original folkloristisches Material, Melodik aus der südosteuropäischen Folklore oder aus der mittelalterlichen byzantinischen Musik. Trotzdem erkennt man in seiner Musik sofort die Wurzeln. GRIECHENLAND AKTUELL sprach mit dem Komponisten Dimitri Terzakis über die Wurzeln seiner Musik, über seine Herkunft, über die Neue Musik und über die griechisch-deutschen Beziehungen.
In Ihrer Biografie heißt es, dass die Wurzeln Ihres musikalischen Schaffens in der Mönchsrepublik des Berges Athos liegen. Welche Schlüsselerlebnisse haben für Sie eine bedeutende Rolle gespielt?
Die Wurzeln meiner Musik liegen im Tonsystem der antiken Musik, dessen Nachfolger die byzantinische Musik ist. Ich habe sie auf dem Berg Athos erlebt wo sie echt gesungen wird. Ein Erlebnis war es, sie in der eigenartigen Atmosphäre der Kirchen zu hören, die vom Kerzenlicht beleuchtet waren und wo die schwarzen Figuren der Mönche eine metaphysische Dimension bekommen. Es ist interessant, dass im Westen die byzantinische Musik weitgehend unbekannt ist. Das ist die Folge des Schisma*. Der Osten, nach dem Fall Konstantinopels, hat das Spiel verloren, wie immer in der Geschichte der Fall ist: Der Besiegte muss von der Weltoberfläche verschwinden. So ist dies Phänomen entstanden, dass man die Brücke, welche die östliche mittelalterliche Musik mit der westlichen verbindet, nicht kennt. Mit anderen Worten: Man kennt nicht die Mutter der westlichen Musik des Mittelalters. Das können Sie in jedem Buch der Musikgeschichte sehen.
Sie sind ein Meister der Einfachheit, welche Sie auf Berg Athos gelernt haben. Was verstehen Sie unter „Einfachheit“?
Diese Musik ist einfach, d.h. sie braucht weniger Aufwand der Mittel. Eben deshalb konzentriert sie sich auf das Wesentliche. Dies habe ich in meiner Musik übernommen. Was ungewöhnlich in unserer Zeit ist, wo die neue Musik möglichst kompliziert gestaltet wird, geschmückt mit komplizierten Kommentaren der Komponisten.
Wir Südländer sind Melodiker und die Melodie ist in der neuen Musik streng verboten. Das hat mich nicht gehindert, Musik zu komponieren, deren Hauptparameter eben die Melodie ist d.h. keine intellektuelle Musik, sondern intuitive.
Hat Ihr Vater, der Schriftsteller und Dramatiker Angelos Terzakis, Sie in Ihrer künstlerischen Entwicklung beeinflusst? Sie wuchsen in einem Haus auf, wo die Bildung höchste Priorität hatte. Erzählen Sie uns von diesen entscheidenden Jahren.
Ich habe meinem Vater meine Persönlichkeit zu verdanken. Er hat mich sehr früh in die große Kunst eingeführt und zwar auf eine faszinierende Weise. Er erzählte mir statt Märchen, Geschichten aus der großen Literatur. Er lehrte mich das Billige in der Kunst zu verachten. Später, als er mich für fähig gehalten hat zu denken, führte er mich in die Philosophie ein. Da er selber Musik studiert hatte, spielten die Werke der großen Komponisten in unseren Gesprächen eine zentrale Rolle.
Nikos Skalkottas, der vor 70 Jahren in Athenvölligvereinsamtstarb,ist der bedeutendste Vertreter der frühen Neuen Musik in Griechenland.Ist diese Musik wie überhaupt die griechische Musik in Deutschland und in Europa bekannt?
Bis auf zwei Ausnahmen ist die griechische ernste Musik außerhalb des Landes weitgehend unbekannt.
Sie haben viele Jahre in der Bundesrepublik verbracht. Wie sehen heute Ihrer Meinung nach die deutsch-griechischen Beziehungen aus, nachdem sie während der sogenannten 10jährigen Finanzkrise so gelitten haben?
Die Krise hat Griechenland und Deutschland die traurige Möglichkeit gegeben, eine billige Seite der Medien zu zeigen: Die Venus mit erhobenen Mittelfinger auf der Titelseite des Spiegel und, als Antwort, Frau Merkel in den griechischen Medien in Naziuniform. Beides Unwürdig für zivilisierte Länder.
*Schisma, Glaubensspaltung, bezeichnet den Bruch zwischen der Ost- und der Westkirche. Er wird auf 1054 datiert. Von einem echten Schisma kann man wohl erst seit 1204 sprechen, als Konstantinopel von lateinischen Kreuzfahrerheeren geplündert wurde. Erst da wurde die Spaltung zwischen den Kirchen in ihrer ganzen Härte sichtbar. (AL)