Dr. Vinzenz Brinkmann, Leiter der Antikensammlung der Liebieghaus-Skulpturensammlung in Frankfurt am Main, ist ein Pionier-Archäologe, der auf die Idee kam, die farbige Qualität der altgriechischen Skulpturen sichtbar zu machen.
Mit seiner berühmten Wanderausstellung „BUNTE GÖTTER“, die weltweit seit mehreren Jahren reist, präsentiert er der internationalen Öffentlichkeit die faszinierende reelle bunte altgriechische Welt.
Dr. Brinkmann, der noch für den Preis des #art – Das Kunstmagazin des Kurators 2019 in Deutschland für die Ausstellung „MEDEAS LIEBE und die Jagd nach dem Goldenen Vlies“ in der Liebieghaus-Skulpturensammlung nominiert ist, sprach mit GR_Aktuell über sein Lebenswerk, die Resultaten der Polychromieforschung, die Bedeutung der Farbe in der altgriechischen Welt und das Bild über die altgriechische Kunst und über das „Liebieghaus Polychromy Research Project“.
Hier das Interview:
Die Suche nach den Farben der altgriechischen Skulpturen ist eine Pioniertat. Was hat Sie zu dieser Suche geführt?
Der Zufall. Ich hatte mich als Student für ein Austauschstipendium beworben und durfte 1981/82 ein akademisches Jahr in Athen studieren. Damals wollte ich die Zeit nutzen, und die Oberflächen der Marmorskulpturen auf antike Werkzeugspuren hin untersuchen. Bei dieser Arbeit fiel mir auf, dass noch sehr viele Spuren der ursprünglichen Farbfassung erhalten waren. In diesem Jahr in Athen konnte ich übrigens sehr viele griechische Freunde gewinnen und irgendwie ist die Stadt seither eine zweite Heimat.
Ausstellungsansicht „ Bunte Götter“ (http://newsroom.liebieghaus.de/de/themen/bunte-goetter)
Welche Art von Forschungen haben Sie vorgenommen, um die farbige Qualität der altgriechischen Skulpturen aufzuspüren? Welche Schwierigkeiten verbirgt das ganze Projekt? Wie risikoreich war es?
Unser Team – unterstützt von vielen Kollegen – hat sich zunächst auf Mikroskopie und Multispektralfotografie spezialisiert. Hierbei kamen Aufnahmen im ultravioletten und infrarotem Licht mit zusätzlicher Farbextraktion zur Anwendung. Als sehr erfolgreich hat sich ebenso die Fotografie im extremen Seitenlicht (Streiflicht) erwiesen. Mit Hilfe dieser Methoden konnten insbesondere die vielfältigen Ornamente auf Kleidung und Schmuck der Marmorskulpturen sichtbar gemacht werden.
Parallel wurden in einigen Fällen Farbreste von Kollegen entnommen und in invasiven Verfahren der naturwissenschaftlichen Materialanalyse bestimmt. Später wurden auf der Grundlage der Digitalisierung so genannte non-invasive, also zerstörungsfreie Analysemethoden entwickelt. Unser Team hat sich zwischenzeitlich ganz auf diese Methoden konzentriert, zu denen die tragbare Röntgenfluoreszenzspektroskopie (Portable-XRF), die UV-Vis Absorptionsspektroskopie und künftig verstärkt die Raman-Spektroskopie gehören.
Alle von uns angewandten Methoden sind für Objekte und Forscher völlig risikofrei. Von den griechischen Behörden und Entscheidungsträgern wurde und wird unsere Arbeit in großer Kollegialität unterstützt.
Skulptur der Phrasikleia, aus Merenda, um 540 v.Chr. / Grabstatue der Phrasikleia, Farbekonstruktion, 2010 / Grabstatue der Phrasikleia, Farbekonstruktion (Detail), 2010 (http://newsroom.liebieghaus.de/de/themen/bunte-goetter)
Als Archäologe und Kenner der altgriechischen Kultur, wie beurteilen Sie, die Verwendung der Farbe in der altgriechischen Welt? Letztendlich, die Verwendung von Farbe auf Kunstobjekten in der altgriechischen Welt liefert uns heute „neue Informationen“ über die altgriechische Gesellschaft bzw. die Antike im Allgemeinen?
Griechische Skulpturen standen in öffentlichen Räumen, häufig weit oben an den großen Tempeln und an sonstigen Kultbauten angebracht. Sie erzählen jeweils eine Geschichte, entweder aus der Mythologie oder dem Leben des Dargestellten. Diese Geschichte wird erst durch das Farbenkleid der Figuren deutlich, ja lebendig. Die verwendeten Farben sind kostbar, besonders wertvoll sind die farbkräftigen Pigmente. So erhöht die Farbfassung den praktischen, aber vor allem ideellen Wert der Skulptur.
Wie wir von Euripides aus seiner Tragödie über Helena wissen, hielten die antiken Griechen eine Statue ohne Farbe für etwas außerordentlich Häßliches.
Die Ausstellung „Bunte Götter“, ein „Lebensprojekt“ für Sie, reist weltweit seit mehreren Jahren. Welche sind nach Ihrer Meinung die internationalen Auswirkungen dieser Ausstellung heute auf das Verständnis und das Bild der altgriechischen Welt in der internationalen Öffentlichkeit?
Die Ausstellung Bunte Götter wurde seit ihrem Start 2003 in der Münchner Glyptothek 30 mal in der ganzen Welt gezeigt (darunter auch im Athener Nationalmuseum) und von ca. 3 Millionen Besuchern gesehen. Die renommierten Universitäten von Harvard, Oxford, Heidelberg, Göttingen oder Tübingen haben hierbei mit uns kooperiert, indem sie die Ausstellung präsentiert, aber ebenso das Phänomen der Statuenpolychromie in die Universitätslehre aufgenommen haben. Die Medien haben weltweit ausführlich über die Forschungen unseres Teams berichtet.
Die griechische Kunst und deren Reichtum erhielten hierdurch weitere Aufmerksamkeit. Den Besuchern der Bunten Götter ist bewusst, dass die für die Wissensvermittlung erarbeiteten Rekonstruktionen Anschauungsmodelle darstellen, die – wenn Sie auch nicht in allen Details 100 Prozent korrekt sind – dem ursprünglichen Erscheinungsbild der antiken Kunst näher sind als die farblosen antiken Marmorskulpturen in unseren Museen.
Bogenschütze „Paris“ aus dem Westgiebel des Aphaiatempel auf Aegina, um 480 v.Chr./ Bogenschütze „Paris“ aus dem Westgiebel des Aphaiatempel auf Aegina, Farbekonstruktion Variante B, 2005 (http://newsroom.liebieghaus.de/de/themen/bunte-goetter)
Der Videospielsektor scheint, Ihre Theorie über die bunte Skulpturenwelt des antiken Griechenlands zu akzeptieren. Jüngstes Beispiel dafür ist das bekannte Videospiel „Assasin΄s Creed Odyssey“, das sich im antiken Griechenland spielt. Was ist heute, Ihrer Meinung nach, der pädagogische Wert der Werbung der „bunten altgriechischen Welt“ durch ein modernes, hochpopuläres audiovisuelles Medium, wie etwa Videospiele, für junge Zuschauer?
Lange Zeit haben die wichtigen Medien, allen voran der Kinofilm, ein falsches, nämlich marmorweißes Bild der griechischen und römischen Antike geliefert. Diese Tatsache hatte einen wichtigen Anteil an einer irreführenden Prägung des modernen Menschen, der fälschlicherweise meint, antike Skulptur sei farblos.
Ich selbst habe mich gefreut, dass die Produzenten eines populären Computerspiels die Ergebnisse der aktuellen Forschungen aufnehmen und sich um ein tendenziell richtigeres Bild der Antike bemühen.
Panzertorso von der Athener Akropolis, um 470 v. Chr. / Panzertorso von der Athener Akropolis, Farbekonstruktion, Variante B, 2005 (http://newsroom.liebieghaus.de/de/themen/bunte-goetter)
Welche weiteren Pläne haben Sie für die nächste Zeit?
Wir haben seit 2003/2004, als die Bunten Götter in München, in den Vatikanischen Museen und in der Ny Carlsberg Glyptotek in Kopenhagen debütierten, die Forschungen verstärkt vorangetrieben. Auch haben wir in den letzten Jahren in Form von experimentellen Rekonstruktionen der berühmtesten griechischen Bronzestatuen (Krieger von Riace, Thermenherrscher und Boxer), die als Original erhalten sind, das Forschungsfeld der Polychromie der antiken griechischen und römischen Bronzeskulptur betreten.
Gerade bereiten wir daher unter Hochdruck eine neue Fassung der Ausstellung „Bunte Götter“ für die Liebieghaus Skulpturensammlung vor. Diese Ausstellung soll zeigen, wie viele neue Forschungen im Bereich der Statuenpolychromie durch unsere Aktivitäten international angeregt wurden, aber auch ein erstes Resümee der Tätigkeiten unseres Teams, des Liebieghaus Polychromy Research Projects, bieten.
Das Interview führte Chrysoula Archontaki