Kaum ein anderer Architekt hat das moderne Griechenland so maßgeblich sein Gepräge gegeben wie der gebürtige Sachse Ernst Ziller. Obwohl er der Öffentlichkeit wegen der Athener Trilogie bekannt ist, hat er zwischen 1870 und 1914 das Gesicht des Landes mit über 500 öffentlichen und privaten Gebäuden, die er entwarf, baute oder beaufsichtigte, weitgehend geprägt. Die Umwandlung Athens von einem verschlafenen Dorf mit antiken Ruinen, umliegenden Wiesen und Olivenhainen in eine geschäftige und glanzvolle Metropole ist eigentlich ihm größtenteils zu verdanken.
Als Athen 1834 die Hauptstadt des Königreichs Griechenland wurde, war es noch ein Dorf – in der Tat ein verfallenes Dorf. Europäische Architekten und Stadtplaner, die die Wiedergeburt Athens als „europäische Sache“ betrachteten, beteiligten sich an den Interventionen, die bereits in den ersten Regierungsjahren von Otto durchgeführt wurden. Diese Wiedergeburt ließ natürlich lange auf sich warten. Es war Ernst Ziller, der der Stadt, die er zu seinem lebenslangen Zuhause machte, ein europäisches Gesicht und einen neuen Glanz verlieh.
Der 1837 in einem kleinen Dorf in Sachsen bei Dresden geborene deutsche Architekt, Maler, Forscher und Liebhaber der Antike kam 1861 als sehr junger Mann nach Athen. Er wurde vom großen dänischen Architekten und seinem Professor in Wien, Theophil Hansen nach Athen eingeladen, um als Architekt und Projektleiter für die von Sinas finanzierte Akademie zu arbeiten. Der große griechische Magnat und Wohltäter, Simon Freiherr von Sina finanzierte großzügig das erste große öffentliche Bauprojekt in Athen. Das Gebäude wurde vollständig aus pentelischem Marmor in einer „Transkription“ des antiken Erechtheions auf der Akropolis hergestellt. Mit Unterstützung von Hansen und Sinas entwickelte Ziller seine Verbindungen zu den meisten seiner lokalen und internationalen zukünftigen Kunden, insbesondere während der Regierungszeit von George I.
Die antiken Ruinen eroberten sofort das Herz und den Verstand des ehrgeizigen jungen Architekten: Er entdeckte das Panathenäische Stadion, erstellte Pläne des Dionysos-Theaters am Südhang der Akropolis und grub das Gelände aus. Er studierte die architektonische Struktur des Parthenons und fertigte Zeichnungen der Giebelreste an. Er gehörte zu den Ersten, die die Polychromie der Statuen und die architektonischen Merkmale des Theseions, des Erechtheions sowie des Tempels von Aphaia auf Ägina bemerkten und übertrug sie in die dekorativen Merkmale der von ihm entworfenen Häuser. Sein Stil, inspiriert von der Antike, Byzanz, Renaissance sowie von nordeuropäischen Merkmalen, kann im Kontext des Neoklassizismus als vielseitig definiert werden.
Zu seinen frühen Werken gehören viele Theater: das Athener Stadttheater (Kotzia-Platz, 1940 abgerissen), das Königliche Theater (heute Nationaltheater), das Stadttheater in Patras, das Städtische Theater in Zakynthos (1953 durch Erdbeben zerstört). Er beaufsichtigte die Umsetzung von Hansens Projekten: die Akademie, das Zappeion-Ausstellungsgebäude, die Nationalbibliothek und das Archäologische Nationalmuseum. Er machte Vorschläge für die Verschönerung des Lycabettus-Hügels, um einen Erholungspark für bürgerliche Athener zu entwickeln; Ziller wird auch das Pflanzen von Bäumen auf dem Hügel zugeschrieben. Er ist der Architekt des heutigen Präsidentenpalastes, des damaligen Palastes von Kronprinz Konstantin und mehrerer privater Wohnhäuser wie das Wohnpalais vom Amateurarchäologen Erich Schliemann,“Iliou Melathron“ (Palast von Ilion, heute Numismatisches Museum), sowie die Wohnhäuser von Melas, Othon Stathatos (heute Museum für Kykladische Kunst), Deligiorgis, Kalligas, Psychas, Pesmazoglou. Er baute das Deutsche und das Österreichische Archäologische Institut, das Rathaus von Ermoupoli auf Syros, Wohnhäuser in Kifissia und das Ziller-Viertel in Piräus, die Hotels Bageion und Alexandros am Omonoia-Platz, Kirchen in Aigion, Velo bei Korinth, Vilia in Attika, St. Athanassios in Pyrgos, St. Loukas in Patissia , Heilige Dreifaltigkeit in der Pireos-Strasse sowie Märkte und Schulen in mehreren Städten Griechenlands. Die Gesamtzahl seiner Projekte beträgt über 500 in ganz Griechenland.
Der Architekt verband das kreative Denken eines Künstlers mit der ästhetischen Ausbildung der Ära von König George I. Ziller hatte das Glück, in einem Land zu bauen, das von klassischen Ruinen übersät ist, was die Deutschen faszinierte. Außerdem hatte er das Glück, seine neoklassizistischen Gebäude nicht wie sein Professor und Freund Hansen im Nebel von Wien und Kopenhagen zu errichten, sondern im sonnenverwöhnten Athen. Die Größe der Stadt erforderte andere Maßstäbe und Proportionen als die Hauptstädte des Nordens; sie forderte Differenzierung und Anpassung an lokale ästhetische, natürliche und historische Realitäten. Ziller konnte sich offenbar anpassen. Mehr als jeder andere Architekt beeinflusste und wurde beeinflusst von der lokalen Architektur.
Zillers Architektur wurde von Marina Lambraki-Plaka, Kunstdirektorin und Direktorin der Nationalgalerie wie folgt beschrieben: „Zillers Architektur richtet sich nach dem Licht; sie wandelt sich mit dem griechischen Licht. Vom Licht durchflutete Säulen aller Stile, Stoas, ausdrucksvolle dekorative Muster verwandeln seine Gebäude in musikalische Instrumente, in welchen Licht und Schatten eine nie gehörte Melodie von großem harmonischem Reichtum formen – immer mit dem Lauf der Sonne. Das griechische Maß setzte in Übereinstimmung mit den antiken Vorbildern die Rangfolge seiner Architektur. Ziller bestimmte das herrschaftliche Profil der späten griechischen bürgerlichen Gesellschaft am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, wobei er aber auch maßgeblich die kleinbürgerliche und populäre neoklassische Architektur beeinflusste.“
Quelle: Griechische Nationalgalerie
Introbild: Ernst Ziller (Portrait 1880) /Quelle: Wikimedia Commons
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