Giorgos Seféris, der spätere Dichter und erster griechischer Autor, der im Jahr 1963 den Nobelpreis für Literatur erhielt, wurde im Jahr 1900 in Smyrna (Izmir in der heutigen Türkei) an der kleinasiatischen Küste geboren. Im August 1914 siedelte seine Familie nach Athen über, wo er fortan lebte. Dieses Schicksal der Familie Seféris teilten auch viele andere griechische Familien, die bereits in diesem Jahr die Türkei verlassen mussten.

Die systematischen Repressalien gegen die griechische Bevölkerung, welche viele Familien nötigten, die Türkei zu verlassen, begannen schon am Vorabend des Ersten Weltkrieges. Die griechisch-christliche Bevölkerung, die in Westanatolien und am Schwarzen Meer (in der Region „Pontos“) seit Jahrtausenden gelebt hatte, zählte weit über zwei Millionen Menschen. Viele davon gehörten zur intellektuellen und wirtschaftlichen Elite der damaligen Türkei.

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Eine Familie von Pontos-Griechen in Trapezunt/ Wikimedia Commons

In den Jahren 1914-1923 wurde die Vertreibung der Griechen von der kleinasiatischen Küste und aus „Pontos“ systematisch vorangetrieben. Als „Pontos“ wird seit der Antike das Gebiet an der Südküste des Schwarzen Meeres bzw. im Nordosten der heutigen Türkei bezeichnet. Am 19.05.1919 begann die dritte und schlimmste Phase der Vertreibung und brutalen Ermordung der griechischen Bevölkerung aus der Region des Schwarzen Meeres und der kleinasiatischen Küste. Der 19. Mai gilt als offizieller Gedenktag dieses Genozids. Dieser richtete hauptsächlich gegen die Pontos-Griechen und gehört zu den dunkelsten Kapiteln der europäischen Geschichte. 

Es handelt sich, wie bei dem Genozid an der armenischen Bevölkerung, um einen Völkermord, welcher das Leben nahezu einer Million Menschen gekostet hat. Die Auslöschung der griechischen Bevölkerung fand ihren Höhenpunkt am 9. September 1922, als die Stadt Smyrna (Izmir) von den türkischen Truppen in Brand gesetzt wurde. Mehrere tausende griechische Familien versuchten vergeblich über das Meer zu entkommen, mussten aber jämmerlich sterben. Amerikanische, britische und französische Schiffe lagen im Hafen, die Schiffsbesatzung schaute dabei untätig zu. Der damalige amerikanische Konsul von Smyrna George Homton sprach „von dem letzten Akt eines zusammenhängenden Programms zur Auslöschung der Christenheit im einstigen byzantinischen Reich“.

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Griechische Opfer der smyrneischen Katastrophe und trauernde Angehörige (Photo des amerikanischen Roten Kreuzes) / Quelle: Wikimedia Commons

Mit dem späteren Abschluss des „Lausanner Vertrags“, welcher unter anderem auch einen Bevölkerungsaustausch festlegte, verließen ca. 1,5 Millionen Griechen die Türkei und siedelten nach Griechenland über. Im Gegenzug wurden eine halbe Million Moslems von Griechenland in die Türkei gebracht. Der Bevölkerungszwangsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei setzte ein vorläufiges Ende der systematischen Vernichtung der in der Türkei lebenden griechischen Bevölkerung. 

In den 1930er Jahren ging die „Türkifizierung“ des Landes weiter. In dieser Zeit lebten dort noch etwa 250.000 Christen, welche die früheren Verfolgungen überlebt hatten. Viele emigrierten, als sich die Lebensumstände mehr und mehr verschlimmerten und menschenunwürdig wurden. In der Nacht vom 6. auf den 7. September 1955 griffen ca. 100.000 türkische Personen die griechischen, armenischen und jüdischen Stadtviertel Istanbuls an. Die ortodoxen Kirchen, die Friedhöfe, die Schulen, die Krankenhäuser, die Läden, die Wohnungen und die Häuser der Griechen wurden ausgeplündert und in Brand gesetzt. Knapp zwanzig Jahren später, am 20. Juli 1974, erfolgte die türkische Invasion auf Zypern.

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Griechische und armenische Flüchtlinge aus der Türkei, 1923/ Quelle: Wikimedia Commons     

Letzten Oktober hat das US-Repräsentantenhaus mit überwiegender Mehrheit die Massaker an den Armeniern in der Türkei während des Ersten Weltkrieges als Völkermord anerkannt und die Tötung von 1,5 Armeniern scharf verurteilt. Der Massenmord an der griechischen Bevölkerung in den Jahren 1914-1923 wartet immer noch darauf, zumindest als Völkermord anerkannt zu werden. Das Griechische Parlament sowie das Parlament weniger Staaten und einiger Bundesstaaten in den USA, Australiens sowie die International Association of Genocide Scholars haben die Massaker an den Pontos-Griechen als Völkermord anerkannt. Der ehemalige deutsche Bundespräsident Joachim Gauck sprach im April 2015 während seines offiziellen Griechenlandbesuchs „von geplanten und systematischen Mordaktionen und von einer kalkulierten verbrecherischen Tat gegen die Armenier, die Pontos-Griechen und die Assyrer oder Aramäer“.     (AL)

 

Intro-Bildquelle: ERT

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