[Harald Ossberger: Geboren 1948 in Graz, aufgewachsen in Linz. Studium an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien (Klavier Konzertfach) bei den Professoren Grete Hinterhofer und Alexander Jenner. Diplomprüfung mit Auszeichnung. Seit Abschluss der Studien intensive Konzerttätigkeit in den meisten Ländern Europas, im Nahen Osten sowie in Japan, Südkorea, Taiwan, Indien, Nord-, Mittel- und Südamerika. Rundfunk-, Fernseh- und CD- Aufnahmen. Neben solistischer Tätigkeit rege Auseinandersetzung mit Kammermusik: seit 1974 Mitglied des »Ensemble 20. Jahrhundert« Wien; 1978 Gründung des Concordia – Trios (mit dem Geiger Erich Schagerl und dem Cellisten Josef Luitz). Partner verschiedener Instrumentalisten (u.a. René Staar, Josef Sivo, Hermilo Novelo, Christian Altenburger, Mario Hossen, Florian Kitt, Attila Pasztor, Roger Salander, Milan Turkovic, Alois Brandhofer, Dieter Flury, an zwei Klavieren mit Manfred Wagner – Artzt und Michael Lipp). Regelmäßige Zusammenarbeit mit Henryk Szeryng in vielen Ländern Europas von 1979 bis zum Tod des Geigers 1988. Seit 2006 intensive und erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem griechischen Pianisten Christos Marantos im Bereich der Literatur für Klavier zu vier Händen. Als Solist und in Zusammenarbeit mit anderen Musikern Teilnahme an folgenden Festivals: Salzburger Festspiele, Wiener Festwochen, Wien Modern, Brucknerfest Linz, Carinthischer Sommer, Musikforum Klagenfurt – Viktring, Steirischer Herbst, Kammermusikfestival “Allegro Vivo”, Edinburgh Festival, Warsaw Autumn, Berliner Festspiele, Hong Kong Arts Festival, Huddersfield Festival, „Musica“Strasbourg. Seit 1976 Lehrtätigkeit an der Hochschule (jetzt Universität) für Musik und darstellende Kunst in Wien (inzwischen als emeritierter ordentlicher Universitätsprofessor für Hauptfach Klavier; Lehrveranstaltungen über Stilkunde, Aufführungspraxis, Hammerklavier, Strukturanalyse und Didaktik); Mitglied bzw. Vorsitzender in Fachjurien. Von 2003 bis 2007 Mitglied des Musikbeirats im Bundeskanzleramt. Von 2000 bis 2006 Präsident des Österreichischen Musikrats, nunmehr Ehrenpräsident dieser Institution. Zahlreiche Veröffentlichungen in Fachzeitschriften, Buchkritiken und Lexikonartikel].

INTERVIEW

Herr Professor, Sie sind ein erfahrener Musiker. Viele Jahre lang beschäftigen Sie sich als Pianist mit der Interpretation und Aufführung von Musikwerken sowie auch mit der Musikausbildung für junge Leute an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Welche sind die größten Schwierigkeiten Ihrer Arbeit  und was ist es, was sie möglicherweise spannend macht?

Zunächst danke ich Ihnen, dass Sie mir im Rahmen dieses Interviews die Möglichkeit geben, zu einigen wichtigen kulturpolitischen Fragen, die unsere beiden Länder betreffen, Stellung zu nehmen.

Lassen Sie mich bitte zuerst den zweiten Teil Ihrer Frage beantworten: Sie haben recht, die Arbeit, die mein berufliches Leben bestimmt hat, kann in mehrfacher Hinsicht als spannend betrachtet werden.

Als ausübender Künstler kommt man allein schon bei der Planung eines einzelnen Konzertprogramms mit der musikalischen Ausdrucksweise verschiedener Epochen mit ganz unterschiedlichem kulturellem Hintergrund in Berührung. Mein Kollege und künstlerischer Partner im Klavierduo Christos Marantos und ich planen etwa für dieses Jahr ein Programm mit Werken von W.A.Mozart,  C.Debussy, R.Staar und I.Strawinsky. Da gibt es natürlich auch allgemein gültiges, gemeinsames – aber interessant wird es vor allem dadurch, dass wir in der Auseinandersetzung mit diesen Werken in völlig verschiedene geistige Welten hineinsteigen, ihre jeweilige Besonderheit erforschen und ihre musikalische Sprache lernen. Scheinbar ähnliche Formulierungen bedeuten im 18., späten 19.,frühen 20. und 21. Jahrhundert (R.Staar ist ein bedeutender österreichischer Komponist der Gegenwart) oft etwas ganz und gar Verschiedenes. Und dann gibt es wieder durchaus Vergleichbares in Zielsetzungen und menschlichen Haltungen über die Zeiten hinweg. In diesen künstlerischen Auseinandersetzungen hat man es mit der ungeheuren Vielfalt menschlichen Erlebens, Denkens, Verhaltens zu tun und kann diese Vielfalt in sich selbst entdecken – das ist ein wirkliches Abenteuer.

Im Grunde ist es mit der Arbeit mit Studierenden ähnlich. Es war mir immer wichtig, daran zu denken, dass ein Schüler/eine Schülerin von Anfang an eine unverwechselbare Persönlichkeit darstellt, die für mich als Lehrer ein Gegenüber bedeutet – auf gleicher Augenhöhe, in jeder Hinsicht ernst zu nehmen. Nur so kann gemeinsam das Potential des/der Studierenden entdeckt und auch weiterentwickelt werden. Auf diese Weise ist es auch im Unterricht möglich, der – jeweils oft ganz anderen – Eigenart eines Menschen näher zu kommen und im Laufe der Zeit ein besseres Bild über „den Menschen“ überhaupt zu bekommen. Auch das ist ein Abenteuer.

Die Antwort auf den ersten Teil Ihrer Frage ergibt sich aus dem Vorherigen: es liegt auf der Hand, dass das alles viel, oft sehr schwierige Arbeit erfordert.

Im Falle von uns Pianisten sind wir ja als Interpreten fast ausschließlich mit sehr komplexen musikalischen Verläufen auf höchstem kompositorischem Niveau konfrontiert: verbunden mit den entsprechenden pianistisch – technischen Anforderungen stellt das enorme Ansprüche an einen Künstler, deren Erfüllung zwar sehr befriedigend, aber eben auch anstrengend ist und auf das Leben umgelegt natürlich auch Substanz kostet.

Im pädagogischen Bereich braucht es viel Einfühlungsvermögen, oft auch die Bereitschaft, von eigenen Sichtweisen und Verhaltensmustern abzusehen, um die persönliche Eigenart eines/einer Studierenden möglichst unbeeinflusst zu verstehen und auch anzunehmen. Das ist sehr fordernd und gar nicht leicht. Gemeinsam mit den Schülern und Schülerinnen nachzuforschen, wo ihre besonderen Begabungen liegen, aber auch, wo ihre Grenzen sind, dies dann auch in Worte zu kleiden, braucht viel Feingefühl und menschlichen Respekt: damit umzugehen, gehört zu den schwierigen Aufgaben eines Musikpädagogen.

Was halten Sie von der Musikszene in Österreich heutzutage? Gibt es Produktion von qualitativ hochwertigen Musikwerken?

Ich denke, dass es eine starke Diskrepanz gibt zwischen dem, was Musik für die österreichische Bevölkerung bedeutet und wie sie die politischen Verantwortlichen sehen.

Besonders wenn man den Begriff „Musik“ so weit wie möglich fasst, also nicht nur im Sinn der „klassischen“ Musik, sondern auch der verschiedenen Stile im Bereich der Popularmusik, muss man sagen, dass Musik (auch, weil sie heute so leicht und jederzeit zugänglich ist) zu einem Sinn – und Identität stiftenden Element geworden ist. Die Menschen erkennen – meist unbewusst, aber deshalb nicht weniger intensiv -, dass Musik und künstlerische Vorgänge überhaupt, Bereiche darstellen, beleuchten und in gewissem Sinne auch erklären können, die der gesprochenen Sprache nicht oder nur teilweise (in der Poesie) zugänglich sind. Kunst haben Menschen immer gemacht, auch und gerade, wenn die materielle Situation prekär war – was zeigt, dass Kunst offenbar lebensnotwendig ist, sonst würde man sich ja in Notzeiten scheinbar „wichtigeren“ Dingen zuwenden. Es ist klar, dass dieser Tatbestand viele komplexe und komplizierte Aspekte hat, dass das eben Gesagte natürlich vereinfacht ist – aber darauf näher einzugehen, ist hier nicht der Platz.

Im Bereich der politischen Verantwortung gibt es bei uns zwar immer einzelne Personen, die dies durchschauen und dem Kunstgeschehen höchsten Stellenwert zuschreiben, dann auch manches zustande bringen, diese sind aber leider die Ausnahme: wenn es um budgetäre Kürzungen geht, fängt man meist in der Kulturszene an, es werden Musikstunden eingespart, die Unterrichtszeit verkürzt, Förderungen oft nicht entsprechend den Anforderungen einer „Szene“ entsprechend vergeben, dafür aber „Prestigeprojekte“ unterstützt und vieles mehr.

Da viele dieser Dinge auf Grund des österreichischen Föderalismus in die Kompetenz der Bundesländer fällt, gibt es hier beträchtliche Unterschiede. Die gute oder weniger gute Versorgung mit öffentlichen Musikschulen gehört z.B. hierher: die Nachfrage in der Bevölkerung ist im Ganzen gesehen österreichweit sehr groß. Dem wird nicht immer durch das Angebot entsprochen. Gäbe es nicht auch private Institutionen, wie die auf die evangelische Diakonie gestützte große, ausgezeichnete J.S.Bach Musikschule in Wien, die sich übrigens inzwischen durch eine von Christos Marantos im Sommer 2017 organisierte Tournee in Griechenland bekannt gemacht hat, wäre eine der Nachfrage nach Musikschulplätzen entsprechende Versorgung kaum möglich.

Meiner Ansicht nach geschieht dies alles weniger aus böser Absicht, sondern einfach deshalb, weil von vielen Politikern und Politikerinnen die existentielle Bedeutung von Kunst nicht verstanden wird, weil sie sich nie wirklich ernsthaft mit diesem Gegenstand befasst haben. Man sieht sie als bloße Dekoration, und als solche fällt sie dann scheinbar wichtigeren Dingen zum Opfer – das gilt besonders (auch) für neue, zeitgenössische Musik. Das führt zum zweiten Teil Ihrer Frage.

Es gibt erfreulicher Weise eine große Anzahl qualitativ hochwertiger Musikwerke aus der Hand hervorragender Komponistinnen und Komponisten, die auch – trotz der beschriebenen  schwierigen Umstände – von engagierten Musikern und Musikerinnen, oft auch gebunden in Spezialensembles für Neue Musik, aufgeführt werden. Das diesbezügliche Angebot ist sehr groß – möglicher Weise im europäischen Kontext in vorderster Linie – siehe auch das Festival „Wien Modern“: dort stimmt auch die Nachfrage im Publikum. Außerhalb der traditionellen Festivals in Wien und in den Bundesländern (da gibt es viele und oft sehr progressive) könnte die Nachfrage besser sein, ist aber, wie ich glaube, steigend; letzteres hängt natürlich auch von den finanziellen Mitteln für eine entsprechende Information und Werbung ab.

Sie sind ein Freund von Griechenland und kennen die griechische Kultur und Sprache ausführlich. Wieso?

Meine Begeisterung für Griechenland geht weit zurück in meine Kindheit: angeregt durch die Lektüre der altgriechischen Mythen und Sagen, entwickelte sich früh eine bestimmte Vorstellung davon, wie dieses „Idealland“ aussieht. Als ich sehr viel später – im Jahr 1969 – das erste Mal Griechenland besuchte, sah es für mich genauso aus, wie ich es erträumt hatte. So eine Deckungsgleichheit zwischen Vorstellung und Realität ist, wie ich glaube, sehr selten und prägt die Person, die ein solches Erlebnis haben durfte, nachhaltig. Außerdem studierte ich neben Musik auch Klassische Philologie an der Universität Wien und vertiefte dadurch meine enge geistige Beziehung zum antiken Griechenland, die mich bis heute nicht losgelassen hat. Das entscheidende Erlebnis aber für meine tiefe Verbundenheit mit dem heutigen Griechenland war die Tatsache, dass der junge griechische Pianist Christos Marantos mein Schüler an der Musikuniversität wurde. Aus der Arbeit mit ihm wurde im Lauf der Jahre eine künstlerisch – pädagogische Zusammenarbeit, die reichlich Gelegenheit bot für intensive Gespräche aller Art: durch ihn wurde ich zum ersten Mal auf die neugriechische Geschichte aufmerksam, ihm verdanke ich wesentliche Aufschlüsse über das Leben im heutigen Griechenland und Einblicke in die Eigenart der Menschen dort. Von Christos und seiner Familie nach Athen eingeladen, habe ich die Gelegenheit wahrgenommen, auf Basis meiner Kenntnisse im Altgriechischen die neugriechische Sprache zu erlernen. Das dauert bis heute kontinuierlich an, inzwischen habe ich auch ein wenig in die neugriechische Literatur „hineingelesen“, habe ihre hohe Qualität schätzen gelernt und bin im Moment  – angeregt durch die von Christos im Vorjahr fabelhaft organisierte Hommage – ein enthusiastischer Leser und Anhänger der Werke von Nikos Kazantzakis. Dieser Dichter hat mir eine neue Gedankenwelt eröffnet, die mich tief berührt und mich natürlich auch griechische Wesensart noch besser verstehen lässt.

Überdies fasziniert mich die neugriechische Sprache an sich: als wahrscheinlich ältestes ununterbrochen verwendetes Idiom der Welt mit einer fassbaren Geschichte von mehr als 3000  Jahren, hat sie sich über die verschiedenen Entwicklungsstufen ihre Fähigkeit bewahrt, Inhalte – auch abstrakte – höchst differenziert und im Detail auszudrücken. Die Art, wie sie heute verwendet wird, vermittelt in Alltag und Literatur ein Bild tiefer, empathischer Menschlichkeit.

Glauben Sie, dass zwischen Griechenland und Österreich musikalische kulturelle Affinitäten bestehen?

Ja und nein. Auf Grund des historischen Verlaufs seit der Antike über die Vermittlung durch das byzantinische Kaiserreich bis in die Neuzeit gibt es natürlich kulturelle Affinitäten Griechenlands zu jedem europäischen Land: ohne Griechenland und die Werte, die es dem Abendland weitergegeben hat, gäbe es keine europäische Kultur. Also selbstverständlich gibt es daher im weitesten Sinn auch eine gemeinsame kulturelle Basis mit Österreich. Auch auf musikalischem Gebiet tritt das in der Tatsache zutage, als gerade wichtige Komponisten des 20. Jahrhunderts, wie Nikos Skalkottas, Iannis Xenakis, Anestis Logothetis, Mikis Theodorakis, Manos Hajidakis und andere ihr eigenständiges künstlerisches Handwerk (auch) in Auseinandersetzung mit „westlicher“ Kompositionstechnik entwickelt haben. Trotzdem scheint mir der Kern griechischer Musik doch sehr anders zu sein – und das ist auch klar, da die traditionelle Musik Griechenlands ganz andere Wurzeln hat; die orthodoxe Kirchenmusik zum Beispiel mit ihren Hymnen und ihrer eigenen Melodik und Satztechnik spielt hier eine große Rolle – auch wenn der Einfluss dieser Musik auf die Entwicklung des (westeuropäisch – katholischen) gregorianischen Chorals heutzutage als sehr hoch eingeschätzt wird. Außerdem kann die Entwicklung der Musik eines Volkes nicht von seiner sonstigen Ausdrucks – und Lebensart getrennt werden, und die ist in Griechenland eben anders als in Österreich. Ich kann aber aus eigener Erfahrung sagen, dass die Fähigkeit, sich in die jeweils andere Ausdrucksweise hineinzudenken, besonders in Griechenland sehr hoch ist. Das kenne ich von meinen griechischen Schülern, aber auch vom griechischen Publikum. Inwieweit diese Bereitschaft und Fähigkeit in die andere Richtung auch bei Österreicherinnen und Österreichern vorhanden ist, kann ich schwer sagen und bestenfalls hoffen. Eines aber ist sicher: es ist die partielle Verschiedenheit, die uns Interesse aneinander haben lässt – und das ist gut so. Verschiedenheit als Chance zur Verständigung!

Viele junge griechische Künstler kommen nach Wien, um Musik zu studieren oder eine internationale Karriere zu verfolgen. Wie leicht oder schwer könnte das für sie sein? Ist der Wettbewerb in diesem Bereich hart?

Im Studium selbst kommt Studierenden aus Griechenland der vorhin erwähnte gemeinsame europäische Kontext zugute. Die sehr typisch europäische Auffassung von Kunst als Darstellung von und Auseinandersetzung mit der Welt und den menschlichen Verhaltensweisen ist ihnen quasi mitgegeben und kann dann im Studium sehr effizient vertieft werden. Das erfordert zusammen mit der Erarbeitung rein instrumentaltechnischer Fähigkeiten viel Zeit, gedankliche, emotionale und manuelle Arbeit und oft Verzicht auf Freizeit: insofern ist das Musikstudium – in meinem Fall im zentralen künstlerischen Fach Klavier – hier so schwer wie überall. Es stellt die Studierenden, die ja zu Beginn ihres Studiums bereits einiges Können und künstlerisches Selbstverständnis mitbringen müssen, ständig in die Situation, durch ein besseres Verstehen der musikalischen Verläufe ihre Positionen und Überzeugungen in Frage zu stellen und oft auch verändern zu müssen. Das ist eine hohe Anforderung, die zu erfüllen fordernd und anstrengend ist und ein großes Maß an Selbstkritik braucht, die aber nur produktiv sein kann, wenn ein grundsätzliches Selbstvertrauen besteht und durch die Lehrenden unterstützt wird..

Was die Überführung eines gelungenen abgeschlossenen Instrumentalstudiums in eine berufliche, im besten Falle internationale Karriere betrifft, so sind die Bedingungen schwerer denn je – natürlich für alle und damit auch für Absolventen und Absolventinnen aus Griechenland. Die globale Öffnung und die leicht gewordene Mobilität bringt eine riesige Anzahl hervorragender Pianistinnen und Pianisten in alle Welt; die Konkurrenz ist enorm, das internationale pianistische Niveau im Allgemeinen sehr hoch, die Bereitschaft von Agenturen und Veranstaltern, angesichts des Überangebots Risiken mit neuen Namen einzugehen, eher gering. Dazu kommen oft wie überall menschlich fragwürdige Verhaltensweisen in den verschiedensten Zusammenhängen ins Spiel, die dann oft Karrieren behindern, die die Künstlerinnen und Künstler eigentlich verdienen würden. Eine sehr harte Situation – ich kann keine Rezepte geben, wie die jungen Kolleginnen und Kollegen damit umgehen sollen.

Ich kann aber sagen, dass die wichtigste Voraussetzung für eine möglichst erfüllte künstlerische Laufbahn darin besteht, etwas ganz Eigenes, Unverwechselbares zu sagen zu haben; und da gibt es gerade für Menschen aus den Ländern, die nicht den traditionellen „Kernländern“ der klassischen Musik angehören, eine große Chance. Ich darf meinen ehemaligen Schüler Christos Marantos als Beispiel anführen: natürlich ist er, jenseits irgendeiner Nationalität, ein kosmopolitischer Ausnahmekünstler, die besondere Eigenart seines Spiels und seiner Fragestellungen an die Kunst haben aber auch mit etwas anderem zu tun: einerseits war er schon als Student bereit, „über den Tellerrand zu blicken“, also seine künstlerische Tätigkeit in einem größeren geistigen Zusammenhang zu sehen. Zugleich aber stand und steht er nach wie vor zu seiner Herkunft aus dem kulturellen Zusammenhang Griechenlands, der ihn vieles anders sehen lässt, als man es hierzulande gewöhnt ist. Das Ergebnis sind musikalische Interpretationen, in denen quasi zwei Gedanken – und Gefühlswelten eins werden und auf diese Weise die Zuhörer in eine neue Erlebnisweise von möglicherweise schon gekanntem geführt werden. Marantos‘ Umsetzung der „Hammerklaviersonate“ op.106 von Beethoven, die überall große Begeisterung hervorruft, ist dafür ein überzeugendes Beispiel.

Genau das rate ich den jungen Kolleginnen und Kollegen aus Griechenland: offen und eigenständig zu denken, Lehrmeinungen nicht einfach zu übernehmen, sondern immer selbst nachzudenken – und den Mut zu haben, zur eigenen kulturellen Identität zu stehen, sie nicht zu verleugnen, sondern in die musikalischen Interpretationen einfließen zu lassen!

Kürzlich haben Sie die Arbeit an der Untertitelung in deutscher Sprache einer ERT-Dokumentation über Rigas Fereos übernommen. Diese Dokumentation wird für die Bedürfnisse einer dreitägigen Hommage an den großen griechischen Aufklärer verwendet werden, die das Presse- und Informationsbüro der griechischen Botschaft in Wien, die griechisch-orthodoxe Metropolis von Österreich und der Verband der griechischen Vereine von Österreich unter der organisatorischen Leitung von Herrn Christos Marantos für den Sommer vorbereiten. Glauben Sie, dass solche Initiativen zur weiteren Annäherung und zum gegenseitigen Verständnis zwischen Österreichern und Griechen beitragen könnten?

Ja, unbedingt! Alleine schon die Arbeit an den Untertiteln hat mir gezeigt, wie wenig ich (und ich fürchte auch die Mehrzahl meiner Landsleute) über neugriechische Geschichte und damit auch die Menschen, die ja, bewusst oder unbewusst, von dieser Geschichte geprägt sind, weiß. Dass man hierzulande so unglaublich wenig Kenntnis über die griechische Geschichte ab der byzantinischen Zeit  bis heute hat, ist gerade in der gegenwärtigen Situation mit Finanz – und Flüchtlingskrise fatal.

Wüssten die Leute – und vor allem auch die politisch Verantwortlichen – nur ein wenig mehr darüber, was etwa nach dem zweiten Weltkrieg und später in Griechenland passiert ist, dann gäbe es nicht so viele abfällige, teilweise beleidigende, völlig falsche, dumme und charakterlose Einschätzungen, wie sie im nichtgriechischen Europa immer noch geäußert werden – nicht nur in  Österreich, aber eben leider auch hier. Vielleicht hätte man bei besserer Kenntnis der griechischen Zusammenhänge, mehr gutem Willen und weniger persönlichem politischem Kalkül auch andere Lösungen und sinnvollere Lösungen finden können, die auch wirklich den betroffenen Menschen zu Gute kommen.

Bei der Gestalt des Rigas Fereos kommt ja noch jene Rolle dazu, die Österreich, insbesondere Wien bei der Verbreitung der griechischen Aufklärung gespielt hat – im positiven wie negativen Sinn.

Rigas Fereos tritt ja zu einer Zeit ins Licht der Geschichte, die als entscheidender Schnittpunkt im Verlauf der europäischen Historie gesehen werden muss. Vertieft man sich in dieses Teilgeschehen und will es verstehen, kommt man nicht umhin, auf das Ganze und seine Zusammenhänge zu schauen; dabei wird man entdecken, dass man hierzulande vieles sehr einseitig mittel – bzw. westeuropäisch sieht. Die Deutung historischer Vorgänge in Europa nach 476 (Untergang des weströmischen Imperiums) wird zumindest verzerrt und unvollständig betrachtet, wenn man das byzantinische Kaiserreich, später das Reich der Osmanen und danach eben die Entwicklung nach der griechischen Revolution 1821 außer Acht lässt oder bestenfalls als Fußnote bestehen lässt. Für mich jedenfalls schreibt sich die europäische Geschichte ganz anders, seit ich ein wenig mehr über die gleichzeitigen und auf den Westen wesentlich Einfluss nehmenden Vorgänge im Südosten Europas und im angrenzenden Umfeld weiß.

Wie die meisten Österreicher haben Sie schon einmal Griechenland besucht. Was waren Ihre Eindrücke aus Ihrem Besuch? 

Ich habe Griechenland zum ersten Mal in den Sommern 1969 und 1977 besucht, dann relativ lange nicht und dann seit 2005 oft, diesmal vor allem auch beruflich im Klavierduo mit Christos Marantos.

Ich glaube, dass sich aus dem zuvor schon von mir Gesagten die Antwort auf Ihre Frage ergibt.

Ich liebe dieses Land sehr – es mag die olympischen Götter nicht mehr geben, aber das, was sie symbolisieren, Licht und Klarheit auf der einen, Menschlichkeit in allen Facetten auf der anderen, lebt immer noch. Transzendenz, gebrochen im Licht des orthodoxen Christentums, das pralle Leben in den Menschen, die diese Kultur tragen. Kein Gegensatz von altem und neuem Griechentum, sondern sich wandelnde Kontinuität mit Öffnung in eine gesamteuropäische Gegenwart.-