Konstantinos Kosmas wurde 1971 in Athen geboren. Er studierte dort Neogräzistik, 2002 schloss er seine Promotion an der Freien Universität ab. Er war Mitarbeiter der Griechischen Redaktion vom Funkhaus Europa (WDR/RBB) und betreute über 12 Jahre die Literaturprojekte der Griechischen Kulturstiftung Berlin. Er ist Koordinator des Centrum Modernes Griechenland/Freie Universität Berlin und Zuständiger für das Projekt Edition Romiosini. Er hat außerdem deutsche Literatur ins Griechische übersetzt, u.a. Romane von Hans-Magnus Enzensberger, Christoph Hein, Daniel Kehlmann, Herta Müller und Sasa Stanisic. Er lebt in Berlin.
Im Gespräch mit Griechenland Aktuell, stellt er die Ziele und Aktivitäten der Edition Romiosini vor und spricht über seinen persönlichen und beruflichen Werdegang, über die Präsenz und den Bekanntheitsgrad der griechischen Literatur im deutschsprachigen Raum, über die Rolle von stereotypischer Zuschreibungen in deutsch-griechischen Beziehungen, sowie über den literarischen Kulturaustausch zwischen beiden Sprachgebieten.
Hier das vollständige Interview:
In einem früheren Interview sagten Sie: “Ich habe das Bild, dass man die Sprache, den Autor tanzen sieht auf einem Terrain, und da muss man die schwierigen Figuren, die er tanzt, nachtanzen auf einem anderen Terrain. Das andere Terrain ist die Sprache, die eigene Sprache”. Welche waren die Umstände und die Gründe, warum Sie sich mit diesem “Nachtanzen”, also mit der Übersetzung der deutschen Literatur befassen wollten? Und wie kam es zu Ihrer Entscheidung, nach Berlin zu ziehen?
Mein Umzug nach Berlin war keine bewusste Entscheidung, sondern ein Zufall. Ich hatte nach meinem Studium vor, ca. zwei Jahre in Berlin zu bleiben, um an der FU Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft zu studieren, ich wurde damals für das Hauptstudium immatrikuliert. Aus den zwei Jahren wurde ein halbes Leben.
Die Beschäftigung mit der literarischen Übersetzung war naheliegend: Studium und Liebe für Literatur und Sprache waren die besten Voraussetzungen dafür, meine damalige Arbeit an der Griechischen Kulturstiftung machte mir deutlich, wie wichtig der Kulturtransfer ist, ich war sehr nah an der Verlagslandschaft, so wurde der Weg geebnet.
Seit 2014 leiten Sie das Editionsprojekt Edition Romiosini/CeMoG. Möchten Sie uns ein wenig über die Hauptziele, die Verlagsrichtungen bzw. Prioritäten, und über die Zielleser dieses Projekts erzählen?
Die Edition Romiosini ist eine der „Säulen“ des CeMoG, dessen Aufgabe der Austausch in Wissenschaft und Kultur zwischen den zwei Sprachräumen ist. Unsere Vision für Romiosini ist, eine anspruchsvolle „Bibliothek“ aus richtig guten Büchern anzubieten, Literatur aus und über Griechenland, zugänglich für alle, ob in Papierform oder digital. Wir haben mittlerweile mehr als 60 Titel veröffentlicht; ob man Lyrik oder Prosa, Kurzgeschichten oder Dokumentarisches, Geschichte, Politik, Wissenschaft mag, in der Bibliothek der Edition Romiosini (bibliothek.edition-romiosini.de) wird sicher fündig!
In dem letzten Jahrzehnt, und insbesondere während der Finanzkrise, haben die deutsch-griechischen Beziehungen eine schwierige Phase durchlaufen, in der man oft das Wiederauftauchen und die Ausgrabung alter Vorurteile auf beiden Seiten erlebt hat. Wie sehen Sie die Rolle der Edition Romiosini in diesem Zusammenhang? Wie haben Sie diese Situation erlebt?
Vorurteile helfen uns, die Welt einzuordnen, es geht nicht ohne. Auch stereotypische Zuschreibungen sind eigentlich nicht gelogen – nur eben unzulänglich, nicht die einzige Wahrheit sozusagen. Dadurch findet man oft einen ersten Zugang zum „Anderen“, so wird das Interesse geweckt, das stereotypisch Bekannte näher zu betrachten. Hier kommen wir ins Spiel: Unsere Präsenz wurde in der Tat durch die erhöhte Aufmerksamkeit wegen der Krise verstärkt, die ja sonst viele negative Nebenwirkungen hatte. Dabei konnten wir durch unser akademisches Wissen und unsere Unabhängigkeit vom kommerziellen Erfolg ein gutes „Lesestoff“ liefern, das ein solides Bild von Wissenschaft, Kultur, Sprache und Literatur Griechenlands darstellte. Wir sind mittlerweile eine gute Referenz, man kann in unserer digitalen Bibliothek viele gute Bücher finden, die das Klischee-Wissen ergänzen und ein gutes Bild von und über Griechenland vermitteln.
Wie bekannt ist die moderne und zeitgenössische griechische Literatur in Deutschland? Welche griechischen Bücher oder Schriftsteller sind beim deutschen Publikum gut angekommen?
Das Interesse für Literatur aus und über Griechenland ist natürlich marginal im deutschsprachigen Buchmarkt. Die Statistiken des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels zeigen, dass deutschsprachige Literatur und Übersetzungen aus dem Englischen den Löwenanteil für sich haben, Literatur aus Griechenland (wie auch aus Tschechien, Bulgarien und anderen „kleinen“ Sprachen) sind vernichtend groß, selbst aus dem Französischen oder Italienischen wird sehr wenig, zu wenig gelesen. Trotzdem interessieren unsere Bücher nicht wenige Leser*innen, wie etwa die Anthologien zeitgenössischer Lyrik oder die Krimi-Anthologie, aber auch Klassiker, wie die Trilogie von Stratis Tsirkas Steuerlose Städte.
Einige argumentieren, nach dem Vorbild des Erfolgs des Skandinavienkrimis auf internationaler Ebene, dass eine thematische oder genrebezogene Spezialisierung die einzige Möglichkeit für die Literatur wie die griechische ist – welche nicht über ein breites muttersprachliches Publikum verfügt – Sprachbarrieren zu überwinden und sich weltweit zu differenzieren und zu etablieren. Was meinen Sie dazu?
Sowas ist zunächst mal nicht steuerbar, es ist ja nicht möglich, dass eine Kulturpolitikerin kommt und sagt, jetzt unterstützen wir den griechischen Thriller oder historische der Liebesromane, um einen erkennbaren Schwerpunkt im Ausland zu setzen. Traditionen, wie die des „Skandinavienkrimis“, entstehen nicht nach Plan. Daher ist dieses Argument eine Spekulation, über die man nicht ernsthaft diskutieren kann. Außerdem hätten wir den Effekt, den wir vermeiden wollen: Klischee. Nicht wenige Veranstaltungsorte, Buchhandlungen oder Medien und natürlich Teile des Publikums zeigen gerade eine Abneigung gegen dieses Genre, gerade weil es zu üblich ist. Nein, die Antwort ist Förderung von Autor*innen und Übersetzungen anspruchsvoller Literatur, eine Forderung, die ja auch nicht originell ist, aber immerhin nachvollziehbar und solide.
Wie intensiv ist Ihrer Ansicht nach der literarische Kulturaustausch zwischen den beiden Ländern? Gibt es Ihrer Meinung nach Ähnlichkeiten oder Gemeinsamkeiten zwischen der zeitgenössischen griechischen und deutschen Literatur?
Der Austausch könnte (immer) intensiver sein, und auch hier spielte die Krise eine schlechte Rolle, weil es in Griechenland so wenig Geld für Kultur investiert wird. Ein gutes Beispiel ist etwa das Programm „Litrix“ vom Goethe-Institut, das die Übersetzung ausgewählter Titel in eine jeweils andere Sprache turnusmäßig unterstützt, zur Zeit in die griechische; griechische Verlage können abgesehen von diesem Projekt einen Großteil der Übersetzungskosten von deutschen Institutionen erhalten – dabei handelt es sich um eine „starke“ Sprache, hundert gegen zehn Millionen Muttersprachler*innen machen was aus. Die griechische Kulturpolitik unterstützt aber dies nicht, entsprechend ruhig ist auch der literarische Kulturaustausch, der vom Aktivismus und der guten Laune einzelner agiler Übersetzer*innen und literaturaffinen Menschen lebt. Es ist überlebenswichtig, Bibliotheken, Lesezirkel, Leseprojekte in Schulen und Verlage zu unterstützen, aber auch Großprojekte sind wichtig. Man kritisiert sie oft, wie etwa Frankfurt 2001, als Griechenland das Gastland der Frankfurter Buchmesse war. Schlechtes Management heißt aber nicht, dass die Idee der flächendeckenden Unterstützung der Literatur und der Autor*innen und Übersetzer*innen auch schlecht wäre. Nicht alles regelt der Markt allein, schon gar nicht Kultur!
Das Interview führte Stefanos Dimitriadis