Nicola Crocetti ist einer der bedeutendsten und wichtigsten Übersetzer heutiger griechischer Literatur in Italien. Er leitet, seit 1981, den kleinen, aber gewichtigen Literaturverlag „Crocetti Editore“ und ist, seit 1988, der Herausgeber der literarischen Monatszeitschrift „Poesia“. Viele der wichtigen griechischen Autoren hat er bereits ins Italienische übertragen, darunter Kavafis, Kazantzakis, Seferis, Elytis und Ritsos, die er in den vergangenen Jahrzehnten mit Erfolg herausbrachte. Im vergangenen November erschien in Italien seine Übersetzung der „Odyssee“ von Nikos Kazantzakis. Es handelt sich um das umfangreichste Epos der westlichen Literatur mit insgesamt 33.333 Versen (die homerische „Ilias“ und „Odyssee“ beinhalten zusammen etwas mehr als 28.000 Verse).

GRIECHENLAND AKTUELL sprach mit Nicola Crocetti über seine neueste Übersetzung der „Odyssee“ von Nikos Kazantzakis, die zum ersten Mal ins Italienische übersetzt wurde.  

Was bewundern Sie vor allem an der „Odyssee“ von Nikos Kazantzakis?

Viele Dinge. Zunächst den Mut des Autors, der die harte Kritik von Anfang an ignorierte, Kritik, die sofort nach der Veröffentlichung dieses Werkes erfolgte. Kritiken, die behaupteten, dass es sein Ziel gewesen wäre, dem Homer selbst „konkurrieren“ zu wollen. Kritiken, welche – meiner Meinung nach – kurzsichtig sind. Kritiken, die nicht verstehen wollen, dass die Literatur und insbesondere die Dichtung Kinder von sich selbst sind. Sie bestehen fort wie manche Tiere und Pflanzen, ohne die Befruchtung aus dem Samen zu brauchen – wie eine Art Jungferngeburt.

Ich bewundere weiter in diesem Werk die große Utopie, welche dieses Werk leitet und bestimmt. Das Bedürfnis des Autors sich eine bessere Welt vorzustellen, eine menschlichere und richtigere Welt, und alles in Bewegung zu setzen, bis er dies vollbringt.

Drittens, seine tief verwurzelte Liebe zu seiner eigenen Muttersprache, auch seine Liebe zu allen Leuten, selbst zu den unscheinbarsten, welche diese Sprache weiter gestalten und weiter geben. Ferner seine gigantische, unablässige Mühe, um die Wörter seiner Muttersprache – die er über alles liebt – nicht verlorengehen zu lassen. Damit sie fortbestehen und den nächsten Generationen überliefert werden.

Und als letztes würde ich den großen moralischen Atem erwähnen, der das ganze Werk durchwebt, vom ersten bis zu dem letzten Vers von den insgesamt 33.333 Versen. Was sollte man noch mehr von einem Meisterwerk verlangen?

 

Wie viele Jahre haben Sie an ihrer Übersetzung der „Odyssee“ von Nikos Kazantzakis gearbeitet? Die Sprache dieses Riesenwerks bereitet selbst einem heutigen griechischen Leser große Schwierigkeiten.

Insgesamt habe ich sieben Jahre lang an meiner Übersetzung gearbeitet. Jedoch habe ich nicht ausschließlich meine Übersetzung, sondern vieles mehr während dieser Zeit gemacht. Gleichzeitig leitete ich meinen Verlag weiter und ebenso wurde die Monatszeitschrift „Poesia“ regelmäßig veröffentlicht. Jedes Monatsheft der Zeitschrift „Poesia“ hat einen Umfang von 80 Seiten, in den sieben Jahren meiner übersetzerischen Arbeit an der „Odyssee“ habe ich auch insgesamt 8.160 Seiten durchgelesen und ediert.

Es stimmt, dass die Sprache von Nikos Kazantzakis schwierig und anspruchsvoll ist, auch für den heutigen griechischen Leser. Es sind schon über sechzig Jahre seit dem Tod von Nikos Kazantzakis vergangen. Genug Zeit, damit ein Verleger oder ein Herausgeber doch noch eine kritische Edition der „Odyssee“ mit einem eigenen Wörterbuch und einem ausführlichen Kommentar vorbereiten könnte. Man könnte als Beispiel die „Göttliche Komödie“ Dantes anführen. Was würde ein heutiger italienischer Leser verstehen, ohne die Hilfe, die eine kommentierte Ausgabe ihm gibt? – Er würde nichts verstehen.

 

Haben Sie noch andere Bücher von Nikos Kazantzakis ins Italienische übersetzt?

Ich habe noch zwei weitere Bücher übersetzt. Natürlich zunächst seinen Roman „Alexis Sorbas“. Dieses Buch erschien bereits in den 60er Jahren in einer anderen schlechten italienischen Übersetzung, die als Vorlage nicht das griechische Original nahm, sondern die englische Übersetzung von „Alexis Sorbas“. Dies war nach dem großen Erfolg der Verfilmung von „Alexis Sorbas“ von Kakogiannis. Weiterhin habe ich noch das letzte Buch von Nikos Kazantzakis „Rechenschaft vor El Greco“ ins Italienische übersetzt. In meinem Verlag wurden noch drei weitere Bücher von Nikos Kazantzakis von anderen Übersetzern veröffentlicht: Franz von Assisi, Askese, Die letzte Versuchung. Derzeit arbeite ich an der Übersetzung eines seiner Reisebücher.

 

Halten Sie Nikos Kazantzakis als einen aktuellen Autor? Was kann er uns heute noch sagen?

Alle literarischen Meisterwerke bleiben immer aktuell und sie haben dem heutigen Leser viel zu sagen.

Introbild, Innenbild: Foto privat

GRIECHENLAND AKTUELL bedankt sich bei Maria Frangouli, die den Originaltext des Interviews ins Griechische übersetzte.   (AL)