Der Regisseur Asteris Kutulas gab neulich dem englischsprachigen Magazin „Greek News Agenda“ ein Interview, welches hier auch veröffentlicht wird. Kutulas, der bereits mit RECYCLING MEDEA (2014) einen großartigen Feature-Film gedreht hat, begleitete Mikis Theodorakis von 1987 bis 2017 und ließ dabei immer wieder seine Videokamera laufen. Aus diesem bisher nie angetasteten Fundus von fast 600 Stunden Road-Movie-Material entstand ein lebendiges, mitreißendes Filmwerk über einen couragierten Europäer mit kretischen Wurzeln, dessen Musik in der ganzen Welt gespielt wurde und wird – ein einmaliges Filmgedicht über Liebe, Musik, Leidenschaft und Tod. DANCE FIGHT LOVE DIE und RECYCLING MEDEA gehören zur „Thanatos“-Tetralogie, an deren noch fehlenden Teilen ANTIGONE und ELECTRA Asteris Kutulas seit Januar 2018 arbeitet.
Greek News Agenda: Ihr neuester Film ist das Ergebnis Ihrer Zusammenarbeit mit Mikis Theodorakis seit den 80er Jahren. Sie haben in dieser Zeitspanne von 30 Jahren eine riesige Menge an Filmmaterial gedreht. Wie und wann haben Sie sich dazu entschieden, daraus einen Film zu machen?
Asteris Kutulas: Der Film entstand, nachdem Ina, meine Frau und Ko-Autorin des Films, 9 Monate in täglicher Arbeit die 600 Stunden Filmmaterial aus 30 Jahren gesichtet und auf die Sekunde genau dokumentiert hatte. Danach wollte sie – verständlicherweise – diese Arbeit nicht nur einfach so getan haben, sondern sie fand, mit diesem Filmmaterial müsse ich etwas machen. Ina erwartete, dass ich mir etwas einfallen lassen würde, und sie überzeugte mich nachdrücklich, auf der Grundlage ihrer Vorarbeit das Konzept für diesen Film zu entwickeln. Dafür brauchte ich etwa 2 Jahre. Allerdings muss man dazu wissen, dass Klaus Salge und ich 2010 bereits einen „ordentlichen“ Dokumentarfilm über Theodorakis für den Fernsehsender ARTE produziert hatten, der sehr oft im Fernsehen und auf diversen Festivals gezeigt wurde. Er hat den Titel „Mikis Theodorakis. Komponist“. Abgesehen davon wurden in den letzten Jahrzehnten weltweit mehr als 40 Dokumentarfilme vor allem über biografische und politische Aspekte des sehr aufregenden Lebens von Mikis Theodorakis gedreht. Also konnten Ina und ich jetzt einen vollkommen neuen ästhetischen Ansatz wählen, der in einer für uns viel moderneren und substanzielleren filmischen Form den riesigen musikalischen und poetischen Kosmos dieses einmaligen Künstlers fassen und vermitteln konnte. Dieses „Anderssein“, diese enorme Vielfalt – das hat uns schon lange begeistert, und das wollten wir endlich einmal durch einen Film erfahrbar machen, der eben selbst auch „anders“ ist.
Greek News Agenda: Mikis Theodorakis ist eine der profiliertesten Persönlichkeiten des kulturellen und politischen Lebens Griechenlands. Wie hat dieser Aspekt, zu einem lebenden Mythos einen Film zu drehen, Ihre Arbeit beeinflusst?
Kutulas: Für mich war der Film von Anfang an ein Concept Art Projekt, mehr ein „Energiefeld“ als ein „Movie“. Die Geburt eines Films aus dem Geiste der Musik. „Dance Fight Love Die“ ist ein eigenwilliges Porträt eines eigenwilligen Künstlers, den wir als ein Konglomerat aus Poesie, Musik, Philosophie, Kunst, Geschichte und Politik verstehen – oder wie Joseph Beuys über Theodorakis gesagt hat: das Beispiel einer „sozialen Plastik“. Der Film entspricht dem anarchischen Geist von Mikis Theodorakis. Ina und ich – als Ko-Autoren und Ko-Produzenten – haben ein Film-„Gedicht“ kreiert, einen Film über die Kraft der „universellen Harmonie“ der Musik und der Poesie. Das ist zugleich die Quintessenz dessen, was Mikis Theodorakis für uns bedeutet: Ein Ozean der Musik, der Poesie und der geistigen Freiheit, um also zum Augenblick sagen zu können: „Verweile doch, du bist so schön!“ … Und natürlich ist der Film auch ein Art Zeitkapsel griechischer Geschichte und offenbart ein Stück der „DNA“ Griechenlands. Er ist ein Ausdruck „unseres“ Griechenlands, einer geistigen griechischen Heimat, ein Ort, an dem wir vielen anderen Menschen begegnen können.
Greek News Agenda: Der „Schnitt“ (das Editing) eines so umfangreichen Materials war von ausschlaggebender Bedeutung für die Entstehung dieses Films. Wie sind Sie da herangegangen, wie haben Sie das bewerkstelligt?
Kutulas: Eine der interessantesten und spannendsten Erfahrungen bei der Arbeit an diesem Film war meine Entscheidung, verschiedene Ästhetiken beim Drehen und auch beim Schneiden sehr bewusst zu mischen und zu einer wichtigen Komponente des Films zu machen. Das von mir gedrehte „historische Material“ hat die äußerst begnadete junge Künstlerin und Musikerin Cleopatra Dimitriou geschnitten – wir haben länger als ein Jahr lang gebraucht, um aus den 600 Stunden die 50 Minuten für unseren Film auszuwählen und zu schneiden, etwas, was ohne Ko-Autorin Ina Kutulas nicht möglich gewesen wäre. Sie hatte dafür, wie schon erwähnt, das aufwändige Logging gemacht. Die Spielfilmszenen dagegen wurden von einem der besten Editors Europas, nämlich von Yannis Sakaridis geschnitten, der ja auch ein phantastischer Regisseur ist („Amerika Square“). Die dritte Ebene des Films, also die der Cover-Versionen vieler Theodorakis-Songs von Künstlern wie Francesco Diaz, Alexia, Deerhoof, Dulce Pontes, Air Cushion Finish, Johanna Krumin, Sebastian Schwab, Microphone Mafia & Bejaranos, Melentini, Kaliopi Vetta, Maria Papageorgiou etc. habe ich verschiedenen jungen und sehr jungen Filmemachern zum Schnitt bzw. zur Bearbeitung gegeben, wie z.B. Stella Kalafati, Zoe Chressanthis, Antonia Gogin, Achilleas Gatsopoulos, Dimitris Argyriou etc. Außerdem kam James Chressanthis meiner Bitte nach und filmte und schnitt die „Berlin“-Szene unseres Films. Und nicht zu vergessen, dass es entscheidend für den Film war, dass mein von 1987 bis 2017 relativ schlecht gedrehtes Material konterkariert wird von den professionellen Filmdrehs unseres DOP Mike Geranios in den narrativen „Spielfilm“-Szenen. Aus diesem starken qualitativen und ästhetischen Kontrast, der sich aus dem Gegensatz meines Dokumentar-Materials und den wunderbar gefilmten Szenen von Mike ergibt, resultiert das Grundgerüst für den ganzen Film, so dass er nicht „auseinanderfliegt“, sondern zusammengehalten wird, weil sich das gesamte Material um diese „Wirbelsäule“ herum ordnet: um die „Spielfilm“-Szenen.
Greek News Agenda: Welche Rolle spielt die Nebenhandlung der „Heirat“ in den eingebauten Spielfilmszenen?
Kutulas: Die 10 „Spielfilm“-Szenen der Hochzeitsstory von Marina und Akar haben im Film eine Art „Multifunktion“. Sie gewähren dem Auge immer wieder die Möglichkeit, eben doch Kino des 21. Jahrhunderts zu erleben und die sehr schlechte Filmqualität des „historischen Materials“ ertragen zu können, das ich mehr als 30 Jahre mit unprofessionellen Kameras gedreht hatte. Weil dieses alte Material, technisch gesehen, nicht nur an sich katastrophal ist, sondern von mir als einem Nicht-Kameramann schlecht gedreht wurde, musste das Material schnell geschnitten und aufwendig rekonstruiert werden. Allerdings – daraus allein hätte ich höchstens einen 20minütigen Film machen können; mehr hätte man nicht „ausgehalten“. Die durch Mike Geranios mit einer RED Epic in 4k großartig gedrehten „Spielfilm“-Szenen verleihen dem Film das notwendige „Kinoformat“. Zum anderen erlaubte mir diese fiktionale Ebene, „epische“ Filmszenen zu gestalten (was mit dem anderen Material unmöglich gewesen wäre) und als deren musikalische Grundlage die großartigen Arien aus den Theodorakis-Opern einzusetzen, die sonst nicht im Soundtrack wären. Und drittens „erzählen“ diese zehn Stummfilm-Szenen, gespielt von den beiden phantastischen Hauptdarstellern Sandra von Ruffin und Stathis Papadopoulos, sehr poetisch von der „Liebe“, vom „Tanz“, vom „Kampf“ und vom „Tod“ im Werk und im Leben dieses Ausnahmekünstlers Mikis Theodorakis. Und zwar sehr abstrakt auf künstlerische Art und Weise, als Pendant zu den dokumentarischen Aufnahmen – deswegen ist es ein „Docufiction“-Film. Inhaltlich ist diese Geschichte des Hochzeitstages von Marina und Akar (in der als Dritter auch Panaretos erscheint) inspiriert von der Rodolino-Story aus Mikis Theodorakis’ Autobiographie, „Die Wege des Erzengels“.
Greek News Agenda: Ihr Film folgt einer nicht-narrativen, experimentellen Ästhetik, die Genres und Kunstformen kombiniert. Möchten Sie uns, bitte, die künstlerische Herangehensweise an Ihren Film näher erläutern?
Kutulas: Der Film ist vieles, aber insgesamt sicherlich ein Musikfilm. Und, wie eben schon erwähnt, zugleich eine Dokufiction, da ich dokumentarisches Material mit „Stummfilm-Szenen“ verbinde. „Dance Fight Love Die“ ist aber auch ein assoziativer Essayfilm und ebenso ein Roadmovie. Zu 60 unterschiedlichen Musiken werden 60 kurze Geschichten erzählt. Der Film ist außerdem eine sehr eigenwillige Künstlerbiografie, die eine Antwort auf die Frage zu geben versucht: Was ist Kunst? … Und mit „Dance Fight Love Die“ habe ich außerdem den Versuch unternommen, ein neues Musikfilm-Genre zu begründen, etwas, das ich mit „Recycling Medea“ (2014) angefangen hatte und jetzt mit „Electra“, unserem nächsten Film-Projekt, weiterführen möchte. Da ich keine Vorbilder finden konnte, musste ich selbst etwas kreieren.
Greek News Agenda: Sie haben eine erfolgreiche Karriere in Deutschland. Sie sind Gründer der Deutsch-Griechischen Kulturassoziation. Sie waren 2015 – zusammen mit Ihrer Frau – der Initiator der „Hellas Filmbox Berlin“, um einen konstruktiven Dialog zwischen Griechenland und Deutschland als eine konstruktive künstlerische Antwort auf das Griechenland-Bashing in Deutschland zu ermöglichen. Wie hat sich die Wahrnehmung Griechenlands in der deutschen Gesellschaft in den letzten Jahren entwickelt?
Kutulas: Gemessen daran, dass Griechenland für Deutschland zwischen 2010 und 2015 ein Dauerthema war, könnte man fast den Eindruck gewinnen, dass Griechenland in Deutschland jetzt gar kein Thema mehr ist. Kamen vorher an manchen Tagen die Nachrichten zu Griechenland „beinah im Sekundentakt“, so kommen Nachrichten jetzt sehr sporadisch. Für uns ist die griechisch-deutsche Realität aber viel mehr als nur das, was in den Medien jeweils gerade thematisiert wird. „Deutschland“, „Griechenland“, zwei Begriffe, die hin und her geschoben werden. Irreal, wie wir fanden. Es war unerträglich mitzuerleben, dass damals über Griechenland nur noch negativ berichtet wurde. Für uns ein unfassbarer, inakzeptabler Vorgang. Inzwischen werden auch in Deutschland jeden Tag die Alarmglocken geschlagen und jeden Tag wird thematisiert, dass der Hass und die Wut in Deutschland zu einer ernsthaften Bedrohung für die Demokratie geworden sind. Es ist nicht klar, ob Deutschland es schaffen wird, das zu retten, was von seinen demokratischen Verhältnissen noch existiert. Paradoxerweise (und natürlich tragischerweise) haben inzwischen nicht nur beide Länder, sondern ganz Europa dieses Problem. Allerdings haben beide Länder auch hervorragende künstlerische Potenziale und senden kreative Impulse aus. Kunst ist nach wie vor ein Korrektiv. Deshalb gingen wir zusammen mit vielen anderen in „die Werkstatt“ und gründeten die Hellas Filmbox Berlin. Das Filmfestival sollte eine Möglichkeit sein, einfach sehr viele Filme aus und zu Griechenland sehen zu können. Auch, wenn man denkt, dass man nichts ändern kann, kann man sich immer noch entscheiden zwischen Einschlafen und Wach-Bleiben. Man kann tanzen, sich verlieben, etwas ganz „anderes“ machen wollen. Alles das wird gebraucht. Wie es der Titel unseres Films benennt: „Dance Fight Love Die“. Das bieten auch all die Filme in der „Hellas Filmbox“: Ratio und Emotion. Handlung und Entspannung. Liebe und Verlassensein. Tod und Leben.
Weitere Termine:
06.12.2018 Pforzheim/ Kommunales Kino
07.12.2018 Berlin/ Regenbogenkino (anschließend Publikumsgespräch mit Asteris Kutulas)
08.12.2018-10.12.2018 Berlin/ Regenbogenkino
14.12.2018 Gelsenkirchen/ Werner Goldschmidt-Salon
Interview mit Asteris Kutulas von Florentia Kiortsi für „Greek News Agenda“.