Griechenland Aktuell sprach mit Asteris Koutoulas, dem Filmregisseur, Übersetzer griechischer Literatur, Gründer der Deutsch-Griechischen Kulturassoziation e.V. und Festivaldirektor des 1. Festivals HELLAS FILMBOX BERLIN, über seinen neuen Film „DANCE FIGHT LOVE DIE“, über Mikis Theodorakis, über die Präsenz der Musik von Theodorakis in der Bundesrepublik und die aktuelle Situation in Griechenland:
1. Nach „Recycling Medea“ kommt nun ein weiterer Film von Ihnen über das Leben und künstlerische Schaffen des wohl heute bekanntesten Griechen Mikis Theodorakis mit dem markanten Titel „DANCE FIGHT LOVE DIE“. Erzählen Sie uns von der Hauptidee Ihres Films.
In „Recycling Medea“ – meinem ersten Film der „Thanatos Tetralogie“ – steht nicht Mikis Theodorakis im Mittelpunkt des Geschehens, sondern der antike Mythos einer Mutter, die ihre zwei Kinder tötet, um sich an ihrem Mann zu rächen, der erst fremdgegangen ist und sie dann wegen dieser anderen Frau verlassen hat. Theodorakis’ Musik dient sowohl bei diesem als auch bei meinem neuen Film „DANCE FIGHT LOVE DIE“ als „Soundtrack“. Und das wird wieder so sein bei „Elektra“ und „Antigone“, den anderen beiden Filmen der Tetralogie, die in den kommenden Jahren entstehen sollen.
Leben und Werkschaffen von Theodorakis ist – auf sehr poetische und eigenwillige Art und Weise – tatsächlich das Thema unseres Films „DANCE FIGHT LOVE DIE – With Mikis on the Road“. Ein schnell geschnittenes, rasantes Roadmovie über Musik, Rock’n’Roll, Sehnsucht, Kampf, Träume, Liebe und Tod. Ich wollte mit filmischen Mitteln die Frage beantworten: Was ist Kunst? Und ich wollte einen Film machen, der sich unterscheidet von allem, was ich vorher gesehen hatte.
Einen Film, geboren aus dem Geiste der Musik. Sehr modern und zugleich sehr emotional.
2. In der Filmankündigung heißt es, dass Sie Theodorakis 30 Jahre lang, von 1987 bis 2017, auf vier Kontinenten begleiteten. Bei dem, was Sie an Filmmaterial in Ihrem Archiv haben, handelt es sich um einen riesigen Fundus. Ich kann mir vorstellen, dass es nicht einfach war, daraus ein lebendiges Ganzes entstehen zu lassen, also tatsächlich einen Film von 87 Minuten Länge.
Das Problem bestand darin, dass die etwa 600 Stunden Material, die ich 30 Jahre lang mit kleinen, unprofessionellen Kameras gedreht hatte, niemals dazu bestimmt waren, zu einem „Film“ zu werden. Darum mussten wir einen Weg finden, dieses Material mit neu gedrehten Szenen zu „kreuzen“, um eine filmästhetisch überzeugende Lösung zu finden. Ich wollte durchaus so etwas wie einen „atemberaubenden Film“ für das Kino schaffen, was uns – meiner Meinung nach – gelungen ist. Auch die allermeisten Publikumsreaktionen bestätigen das. Selbst Menschen, denen der Name Mikis Theodorakis kein Begriff ist und die seine Musik noch nie gehört haben, fühlen sich von dem, was sie sehen und hören, stark angesprochen und mitgenommen auf diese Reise. Eine Bilder-Explosion, ein „Baden“ in Musik und in ganz vielen – konträren – Film-Ideen. Kann man schwer beschreiben, ist was Neues, sollte man sich unbedingt ansehen.
3. „DANCE FIGHT LOVE DIE“ kommt ab heute, den 10. Mai, in die deutschen Kinos, was ein großer Erfolg ist. Das hat sicherlich auch mit der Person von Mikis Theodorakis zu tun?
Theodorakis ist für mich ein „musikalischer Anarchist“, ein moderner Mozart. Er gehört zu den größten Melodikern des 20. Jahrhunderts. Seine Melodien überwinden Sprach- und Ländergrenzen, pflanzen sich fort, als wären sie zeitlos. Sie erreichen Musiker, Sänger, Tänzer, Hörer bis heute. Dieses musikalische Material inspiriert, als wäre es gerade erst geschrieben worden. Das offenbart „DANCE FIGHT LOVE DIE“ auf sehr filmische Art und Weise. Ein extremer Film, sowohl hinsichtlich seiner inhaltlichen Konsequenz als auch seiner Form.
4. Mikis Theodorakis hat vor nur wenigen Monaten, trotz seines hohen Alters von 92 Jahren, öffentlich Stellung genommen zu dem Namenstreit von FYROM, eine Stellungnahme, welche die griechische Gesellschaft gespalten hat. Wie wurde seine flammende Rede am 4. Februar 2018 auf dem Syntagma-Platz in Deutschland registriert? Glauben Sie, dass Theodorakis nunmehr „Nationalist“ geworden ist, wie viele ihn nennen und damit anprangern wollen?
Die griechische Gesellschaft ist nicht gespalten, seit Theodorakis sich zu dieser Problematik geäußert hat, sondern sie ist seit dem griechischen Bürgerkrieg, der auf den Zweiten Weltkrieg folgte, gespalten. Das sei vorab angemerkt.
Mikis Theodorakis hat zu der von Ihnen erwähnten Thematik seit 1991 eine klare Haltung (die damals noch vehementer von Melina Mercouri, Theo Angelopoulos und zahllosen anderen griechischen Intellektuellen vertreten wurde und aktuell von Manolis Glezos vertreten wird), die er in einem ausführlichen Brief an Wim Wenders dargelegt und seitdem wiederholt erläutert hat. An dieser Haltung hat sich nichts geändert, außer dass jetzt selbstkritische Töne dazugekommen sind. In seiner sehr antifaschistischen Rede, in der er Brecht zitiert und sich diesbezüglich als „internationaler Patriot“ bezeichnet, der „alle Heimatländer liebt“, sagt er im Grunde genommen fünf Dinge: 1) dass wir Griechen und alle griechischen Regierungen der letzten Jahrzehnte eine große Mit-Schuld an der derzeitigen Situation in Beziehung zu unserem Nachbarland haben, 2) dass wir kein Recht und keine Möglichkeit haben, unserem Nachbarland vorzuschreiben, wie es sich nennen soll, 3) dass wir akzeptieren müssen, dass unser nördlicher Nachbar in der Märchenvorstellung lebt, vom antiken griechischen Makedonien abzustammen, 4) dass das Einzige, was wir Griechen tun können, folgendes ist: dieses „Märchen“ nicht mit unserer Unterschrift zu bestätigen, aber ein freundschaftliches Verhältnis mit unserem Nachbarland zu pflegen und dieses zu vertiefen. Und dass es 5) für den Fall, dass eine griechische Regierung darüber nachdenkt, dieses „Märchen“ dennoch bestätigen zu wollen, eine Volksabstimmung dazu geben sollte – wegen der großen nationalen Tragweite dieser Entscheidung. Im Übrigen ist Theodorakis der einzige griechische Künstler gewesen, der den Mut hatte – nachdem dieser Namensstreit vor 1991 bereits ausgebrochen war –, nach Skopje zu reisen und ein sehr symbolträchtiges Freundschafts-Konzert mit dem FYROM-Staatsorchester zu geben, auch um deutlich zu machen, dass – unabhängig vom Namensstreit – die freundschaftlichen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern die höchste Priorität haben.
5. Es lässt sich annehmen, dass die Musik von Mikis Theodorakis wie auch seine enorme Persönlichkeit in Deutschland nach wie vor bekannt sind. Ist Mikis Theodorakis in der heutigen Bundesrepublik noch immer beliebt?
Ganz sicher kann man sagen, dass Theodorakis beliebt ist. Er hat anderen nie nach dem Munde geredet und seine Meinung nie hinter der Meinung anderer versteckt. Er war immer sehr eigenständig, unabhängig. So ist auch seine Musik. Dieses Idol, das er bereits vor Jahrzehnten war, ist er für sehr viele Menschen in Deutschland geblieben. Seine Musik, oft tief emotional, schenkt Momente der Erlösung und der Motivation, sie gibt Kraft. Das haben nicht wenige früher erlebt, und um das heute wieder erleben zu können, hört man diese Musik, geht in diese Konzerte. Ich war gerade jetzt, am 4. Mai, bei einer Aufführung seines Werks „Canto General“ im ausverkauften Dresdner Kulturpalast, mit einem völlig enthusiastischen Publikum, der Applaus wollte nicht enden, Chor, Orchester und Solisten hätten noch x Zugaben geben können. Letztes Jahr erlebte ich das bei nach der Aufführung seiner 2. Sinfonie und des „Adagio“ aus der 3. Sinfonie, die von den Düsseldorfer Sinfonikern gespielt wurden. Bei Konzerten seiner „Liturgie Nr. 2“ in Brandenburg und Magdeburg war das zu erleben, und ich erlebe so etwas Ähnliches nach den Vorführungen von „DANCE FIGHT LOVE DIE “, wo das Publikum den Theodorakis, den es kennt, teilweise neu entdecken kann. Ich erlebe immer wieder, dass Menschen sich wünschen, diesem Mann wieder begegnen zu können, sich wünschen, dass ihre Kinder und Enkel ihn und seine Musik erleben. Es ist tatsächlich so, als würde man seine Batterien aufladen können, wenn man diese Musik hört. Oftmals erzählt sie von der Sehnsucht des Menschen, ein Tänzer zu sein. Es ist nicht nur ein hoher Beliebtheitsgrad, von dem man sprechen kann, wenn man darüber redet, was für Theodorakis und seine Musik kennzeichnend ist, sondern es ist Dankbarkeit dafür, dass man mit dieser Energie in Kontakt sein kann, dass man bei einer Begegnung zusammen sein kann mit diesem wachen, interessierten Mann, der einem auf den Grund des Herzens schaut und der ein ausgezeichneter Gesprächspartner ist. Er ist ein freier Geist, ein ungewöhnlicher Mensch, und seine Musik ist unikal. Ich erlebe sehr erfolgreiche Musiker und Komponisten, Dirigenten und Chorleiter, die sich vor diesem Werk verneigen. Mir scheint das sogar häufiger geworden zu sein, als es z.B. vor zwanzig Jahren der Fall war. Ich bin absolut sicher, dass Theodorakis’ Musik noch oft neu entdeckt werden wird und Menschen ergreift.