Mit Blick auf den Klimagipfel der Vereinten Nationen 2019 (UN Climate Action Summit 2019), der am 23. September 2019 in New York anfängt, mit dem Ziel konkrete Schritte gegen den Anstieg des Meeresspiegels und der Luftverschmutzung, gegen die lebensbedrohlichen Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit und die gefährlichen Konsequenzen des Klimawandels auf das Kulturerbe zu unternehmen und die Länder dafür zu sensibilisieren, setzt das deutschsprachige Online Magazin „GR_Aktuell“ den Akzent auf den weltweiten Schutz der Kulturdenkmäler in Bezug auf den Klimawandel. Dr. Johanna Leissner,Koordinatorin des EU Projekts Climate for Culture zu den Auswirkungen des Klimawandels auf Kulturgüter, nahm als wissenschaftliche Vertreterin der Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung in Brüssel und Netzwerkerin für Kulturerbe und Nachhaltigkeit, am Internationalen Symposium über den Klimawandel und seine Auswirkungen auf die Kulturdenkmäler teil, welches im Juni 2019 in Athen stattfand. Sie ist heute Gast bei der „GR_Aktuell“-Redaktion und betont dass Klimawandel eine Realität ist und dass vor allem für küstennahe Kulturgüter der Meeresspiegelanstieg eine große Bedrohung darstellt. Daher meint sie, dass das Thema Klimawandel und Kulturerbe auf die oberste politische Agenda müsse, auch auf den „UN Climate Action Summit“, der diesen Monat in New York stattfindet. „Die Frage, was bedeutet uns unser Kulturerbe, wie wichtig ist es für uns als Menschheit, als Inspirations- und Wissensquelle, ja sogar für unsere Gesundheit, ist Aufgabe der gesamten europäischen Gesellschaft“, unterstreicht Dr. Leissner ferner und betont u.a. dass kein Land die gewaltigen Herausforderungen alleine meistern kann.
Hier das vollständige Interview:
– Frau Dr. Leissner, Sie beschäftigen sich seit Jahren am Fraunhofer Institut mit dem Thema Umweltschutz und Klimawandel. Was für eine Wirkung gibt es durch den Klimawandel auf Kulturdenkmäler? Wie sind die Denkmäler davon betroffen und was ist eigentlich gefährdet? Warum ist in letzter Zeit die Öffentlichkeit aufmerksamer geworden, was die Bedeutung dieses Problems anbelangt?
Wie genau und vor allem in welchem Ausmaß sich der Klimawandel auf Kulturgüter auswirkt, wissen wir noch nicht in seiner Gänze. Was wir heute aber schon wissen, ist, dass vor allem für küstennahe Kulturgüter der Meeresspiegelanstieg eine große Bedrohung darstellt – so können ganze Kulturgüterensembles komplett im Wasser versinken oder aber es entstehen große Wellen, die Materialsubstanz von den Gebäuden und Monumenten kontinuierlich abtragen. Auch führt das generelle Ansteigen der Durchschnittstemperaturen oder die Zunahme von Starkregen sowohl im Außenraum als auch in Innenräumen zum Beispiel in Museen oder historischen Gebäuden zu vermehrten mikroklimatischen Schwankungen in Temperatur und Feuchte, die wiederum in den Kunstobjekten, die oft aus Kompositmaterialien bestehen, Schwellungen und Schrumpfungen verursacht, was dann letztendlich zu Abplatzungen, Korrosion und schnellerer Alterung führt. Konkret bedeutet das, dass Konservierungs- und Restaurierungsmaßnahmen wesentlich öfter durchgeführt werden müssen. Daneben gibt es schon heute eine vermehrte Belastung durch Insektenbefall, auch hier verursachen klimatische Veränderungen neue Schäden durch einwandernde Spezies, aber auch der Reproduktionszyklus der Insekten steigt mit zunehmender Temperatur an. Das wiederum bedeutet, dass organische Materialien wie Textilien, Stoffe, oder naturkundliche Sammlungen ein immenses Problem mit dem Insektenschutz haben. Dass heute der Klimawandel die Öffentlichkeit viel stärker beschäftigt, hängt meiner Ansicht nach auch damit zusammen, dass wir ihn viel deutlicher spüren. Er ist direkt bei den Menschen angekommen und kein fernes theoretisches Konstrukt von ein paar Wissenschaftlern mehr. Wir spüren förmlich, dass das Klima sich ändert – es gibt vermehrt Hitzewellen, orkanartige Stürme, sintflutartige Regenfälle und Brände, die auch bereits Kulturgüter zerstört haben.
– Welche nachhaltige Lösungen stehen heute Wissenschaftlern zur Verfügung, um Denkmäler zu schützen oder die schädlichen Auswirkungen des Klimawandels zu verringern? Gibt es noch Zeit, um unsere gemeinsamen Kulturdenkmäler in Europa zu „retten“?
Alle unsere Kulturgüter werden wir wahrscheinlich nicht „retten“ können vor den Auswirkungen des Klimawandels, dazu wird das Geld der öffentlichen Hand nicht reichen, denn wir müssen ja auch noch andere Vorsorge treffen. Allein der Umbau hin zu einer kohlenstofffreien Energieversorgung wird Unsummen verschlingen. Unsere Gesellschaft muss sich jedoch Gedanken machen, welche Kulturgüter wir auf jeden Fall schützen müssen, um dann nachhaltige Schutzmaßnahmen zu fördern. Dazu gehören u.a. Hochwasserschutz, Wellenbrecher, Einbau von energiesparenden Klimaanlagen, nachhaltige Energieerzeugung (Wind, Solar, Wasser, Bio) für Heizung und Kühlung, Ausnutzung der Verwendung von klimastabilen Restaurierungsmaterialien oder ganz simpel der Einbau von Außenbeschattung an Gebäuden oder Dachrinnen, die das Wasser von Starkregenfällen besser aufnehmen und ableiten können, ohne die Mauern kontinuierlich zu befeuchten. Wichtig erscheint mir hier vor allem, dass die Kulturerbeverantwortlichen sich intensiv mit dem Thema Klimawandel auseinandersetzen und gemeinsam mit den Wissenschaftlern die nachhaltigsten Lösungen erarbeiten. Jedes Kulturgut ist einzigartig und benötigt maßgeschneiderte, präventive Konservierungsstrategien. Da stehen wir erst am Anfang in Europa, aber sowohl der Europarat als auch ICOMOS widmen sich nun verstärkt den Klimawandelfolgen.
– Lassen Sie uns bitte über Griechenland sprechen, dessen sichtbare, offene in der Umgebung und der Natur, Monumente im ganzen Land einen großen kulturellen Reichtum aufweisen. Inwiefern sind sie vom Klimawandel betroffen? Sind Kulturdenkmäler im Mittelmeerraum stärker gefährdet als in anderen Teilen Europas oder der Welt?
Griechenland ist nicht nur die Wiege Europas und der Demokratie mit seinen unzähligen Zeugen unserer europäischen Zivilisation, sondern Griechenland ist auch ein wichtiger Vorreiter auf europäischer Ebene, dass wir auf das Kulturerbe in Zeiten des Klimawandels einen anderen Blick haben müssen. Der Klimawandel erfordert ein völlig neues Denken und Handeln und zwingt uns, über uns, über unser Zusammenleben und über die Bedeutung unseres Kulturerbes und unseren Platz auf dieser Erde neu nachzudenken. Die Frage, was bedeutet uns unser Kulturerbe, wie wichtig ist es für uns als Menschheit, als Inspirations- und Wissensquelle, ja sogar für unsere Gesundheit, ist Aufgabe der gesamten europäischen Gesellschaft. Die meisten Kulturdenkmäler liegen rund um das Mittelmeer und sind daher allein schon durch den ansteigenden Meeresspiegel extrem gefährdet. Hier müssen wir verstärkt aktiv werden. Dies wird nicht nur Griechenland betreffen, kein Land alleine wird die gewaltigen Herausforderungen alleine meistern können. Wir brauchen die verstärkte Zusammenarbeit in der Europäischen Union und mit der Weltgemeinschaft, nur so werden unsere zukünftigen Generationen eine vielfältige und inspirierende Kultur- und Naturlandschaft genießen können. Bei der Gelegenheit möchteich mich beim deutschsprachigen online Magazin „GR-Aktuell“ herzlichst bedanken, für die Möglichkeit über die Folgen des Klimawandels auf das kulturelle Erbe zu sprechen.
– Im September wird der UN Klimagipfel in New York unter dem Motto „Ein Rennen, das wir gewinnen können“ stattfinden. Was erwarten Sie sich von diesem Gipfel?
Die Vereinten Nationen wie auch die Europäische Union haben sich den Nachhaltigkeitszielen und dem Klimaschutz verschrieben. Das kulturelle Erbe muss nachhaltig bewahrt und geschützt werden, und zwar nicht nur in Europa, sondern weltweit. Ich würde mir wünschen, dass auf der Sitzung in New York endlich auch der Schutz unseres kulturellen Erbes mit auf die oberste politische Agenda kommt. Es geht um das Gedächtnis unserer Zivilisation, um das Gedächtnis der Gattung Homo sapiens. Schon jetzt geht täglich dieses Gedächtnis verloren, das darf nicht so weitergehen. Noch können wir das Rennen gewinnen! Wir brauchen Schutzprogramme, internationale Kooperation und vor allem kollaborative Forschung: transdiziplinäre Forschung bestehend aus Teams von Natur-, Technik- und Geisteswissenschaftlern, Kulturerbeverantwortlichen, der Zivilgesellschaft, der Politik und vor allem aus der Wirtschaft, um diese Jahrhundert-Herausforderungen zu meistern.
Das Interview führte Chrysoula Archontaki