Kostas Karyotakis (1896-1928)
besuchte in Athen und in der kretischen Stadt Chania die Schule und studierte zwischen 1913 und 1917 Jura in Athen. Er veröffentlichte ab 1913 Gedichte in verschiedenen Zeitschriften und seine drei Gedichtbände: „Der Schmerz des Menschen und der Dinge“ (1919), „Schmerzmittel “ (1921) und „Elegien und Satiren“ (1927). Er arbeitete als Beamter. Seine Zwangsversetzung in die Provinzstadt Preveza trieb ihn in den Selbstmord.
Aus: Schmerzmittel
SCHLAF
Wird uns das Glück zuteil und die Bestimmung,
zum Sterben eines Nachts die grünen
Gestade unsrer Heimat zu erreichen?
Wir werden schlafen süß wie kleine Kinder,
so süß, und über uns im Himmelskreise
verlöschen Irdisches und die Gestirne.
Und wie ein Traum wird uns die Woge streicheln,
und blau wie eine Woge werden Träume
uns Länder zeigen, die es nie gegeben.
Die Liebe wird in unsren Haaren wehen,
der Algen Atem unsre Stirnen salben,
verborgen unter unsren großen Lidern
werden wir lachen, ohne es zu wissen.
Die Rosen regen sich auf ihren Hecken
und kommen, um als Kissen uns zu dienen.
Um unsern Schlaf in Wohlklang zu verwandeln,
verschmähn die Nachtigallen ihren eignen.
Wir werden schlafen süß wie kleine Kinder,
so süß, und alle Mädchen unsres Dorfes
stehn um uns her wie wilde Birnenbäume
und beugen sich und sprechen im geheimen
von goldnen Hütten und von Sonnenstrahlen
am Sonntag, von schneeweißen Blumentöpfen,
von unsren frohen Jahren, die verstreichen.
Ein Mütterchen hält unsre Hand in ihrer,
und wie wir langsam unsre Augen schließen
erzählt sie uns – ganz bleich – als wär’s ein Märchen
vom bittren Leben. Und wie eine Kerze
brennt nieder dann der Mond zu unsren Füßen
in jener Stunde, wenn wir an dem grünen
Gestade unsrer Heimat endlich schlafen.
Wir werden schlafen süß wie kleine Kinder,
die von des Tages Tränen müde wurden.
Deutsche Übersetzung von Maria Oikonomou-Meurer und Ulrich Meurer