Ioannis Antonios Kapodistrias oder Graf Capo d᾿ Istria wurde am 10. oder 11. Februar 1776 auf der Insel Korfu als Sohn einer Grafenfamilie geboren. Er begann eine glänzende Karriere, zunächst als Staatssekretär der kurzlebigen „Republik der Sieben Inseln“. Danach diente er in höchsten diplomatischen Ämtern der zarischen Außenpolitik und seit 1816 wirkte Kapodistrias als russischer Außenminister. Bekannt wurde er als Sondergesandter des russischen Zaren Alexander I beim Wiener Kongress und bei der Pariser Friedenskonferenz. Er spielte in den folgenden Jahren bei der institutionellen Neuorganisation der Schweiz eine bedeutende Rolle. Nach der griechischen Unabhängigkeit wurde er schließlich zum ersten Regenten des befreiten Griechenlands ernannt.

Seine Verdienste waren groß. Sein Engagement für die föderalistische Struktur der Schweiz war von entscheidender Bedeutung. Kapodistrias legte eigentlich den Grundstein für die Neuerrichtung des zerrissenen Landes und verhalf der Schweiz einem nahenden Bürgerkrieg zu entgehen. Als Sondergesandter des russischen Zaren Alexander I beim Wiener Kongress vom September 1814 bis zum Juni 1815, an dem alle diplomatischen Vertreter der Siegermächte der Napoleonischen Kriege teilgenommen hatten, glänzte Kapodistrias mit seiner bewundernswerten Dialogfähigkeit, seiner Überzeugungskraft und seinem hartnäckigen Engagement.

Während dieser Monate lernte Kapodistrias den Genfer Staatsmann Charles Pictet de Rochemont kennen, der im Auftrag der Republik Genf in Wien weilte. Kapodistrias half ihm dabei, den Anschluss Genfs an die Eidgenossenschaft, die «Abrundung» des Genfer Territoriums und die Gewährleistung einer sicheren militärischen Grenze des Kantons und der Schweiz durchzusetzen. Mit dem Beitritt Genfs zur Eidgenossenschaft 1815 erhielt die Schweiz ihre endgültigen Grenzen, die bis heute unverändert geblieben sind. Wenig später gelang es Kapodistrias, während der zweiten Pariser Friedenskonferenz (1815), zusammen mit Charles Pictet, die Anerkennung der immerwährenden Neutralität der Schweiz durchzusetzen, was ein langjähriger Wunsch der Eidgenossen und ein wichtiges Anliegen der Großmächte, insbesondere Russlands, war.

Kapodistrias war nach diesen schwierigen Missionen ein bekannter Staatsmann, dessen Fähigkeiten hochgeschätzt und respektiert wurden. Zu seinen Freunden und Bekannten zählten manche große Namen der Zeit, nicht nur aus dem politischen oder diplomatischen Milieu, ebenso auch der gefürchtete wie umstrittene österreichische Politiker Metternich. Auch Goethe hat ihn mehrmals persönlich empfangen und wurde von den laufenden Vorbereitungen der Befreiung Griechenlands unterrichtet. Der griechische Aufstand gegen die türkische Herrschaft brach offiziell am 25. März 1821 aus.

Von Genf aus – nunmehr vom russischen Zaren beurlaubt -, wo Kapodistrias bis Ende 1827 blieb, unternahm er mehrere Reisen, um einflussreiche Persönlichkeiten zu kontaktieren und sie für die „Sache Griechenlands“ zu gewinnen. Eine viel schwierigere Aufgabe allerdings war sein Beitrag bei der Koordination des griechischen Freiheitskampfes. Vor Ort in Genf gelang es ihm, gute Kontakte zum Genfer philhellenischen Komitee und vor allem zum einflussreichen Bankier Jean-Gabriel Eynard zu knüpfen, welcher die griechische Revolution tatkräftig und vor allem finanziell unterstützte.

Am 3. April 1827 wählte die Dritte griechische Nationalversammlung in Trizina Ioannis Kapodistrias auf sieben Jahre zum ersten Präsidenten Griechenlands. Die Einzelheiten wurden in einer vom Vorsitzenden Georgios Sisinis und dem Sekretär der Versammlung N. Spiliadis unterzeichneten Urkunde festgehalten. Im Schlussparagraphen Epsilon des Dokuments heißt es: „Um in Griechenland während seiner Abwesenheit die Regierungstätigkeit auszuüben, wird ein aus drei Mitgliedern bestehendes Komitee berufen, das Namen und Titel „Das statthaltende Regierungskomitee“ führen soll. Seine Funktion erlischt, ohne dass es einer Entlassung bedarf, sobald der Präsident im griechischen Vaterland angekommen sein wird.“

Kapodistrias kam am 6. Januar 1828 in Nauplia an und begab sich am 12. Januar in die damalige griechische Hauptstadt Ägina. Gleich nach seiner Vereidigung in Nafplion am 26. Januar 1828 begann Ioannis Kapodistrias mit einem ehrgeizigen Aufbauprogramm, welches sich als Ziel setzte, die Unabhängigkeit Griechenlands nach außen zu sichern und innenpolitisch ein modernes Land zu schaffen. Auch wenn seine Gegner ihm autoritäres Regieren nach zentralistischem Muster vorwarfen, gelang ihm jedoch das Bedeutendste: Einen ersten wichtigen und richtungsweisenden Grundstein in fast allen Bereichen zu legen. So bestand er auf der Schaffung einer professionellen Armee, auf der Verwaltungsgliederung des Landes und auf ein staatliches Bildungswesen.

Er belebte den Seehandel wieder, gründete eine erste Geschäftsbank und organisierte die Landwirtschaft neu, welche in diesen Jahren der wichtigste Wirtschaftsfaktor des Landes war. Angesichts der katastrophalen Lage, in der sich Griechenland damals befand, kann man das staatsmännische Werk von Kapodistrias nicht genug würdigen. Gestützt auf seine enorme Sachkenntnis und langjährige Erfahrung in Staatsangelegenheiten, seine enorm wichtigen Kontakte in aller Welt, die Anerkennung und den Respekt, die ihm die europäischen Politiker entgegenbrachten, meisterte er unter den schwierigsten Bedingungen eine Herkulesarbeit.

Kapodistrias murder by Pachis

              Die Ermordung von Kapodistrias, Gemälde von Charalambos Pachis, Zweite Hälfte des 19. Jh., Quelle: Wikimedia Commons

Am 2. April 1829 sagte Goethe zu Eckermann, seinem Privatsekretär und Herausgeber seiner Werke: „Ich will Ihnen ein politisches Geheimnis entdecken, das sich über kurz oder lang offenbaren wird. Kapodistrias kann sich an der Spitze der griechischen Angelegenheiten auf die Länge nicht halten, denn ihm fehlet eine Qualität, die zu einer solchen Stelle unentbehrlich ist: er ist kein Soldat“. Goethe hat mit seiner Vorahnung recht behalten.

Am 27. September (nach dem julianischen Kalender) bzw. am 9. Oktober 1831, am späten Nachmittag, wurde Kapodistrias hinterrücks auf dem Weg zur Kirche Agios Spyridon in Nafplion von den Gebrüdern Mavromichalis ermordet. Damit kam nicht nur eine glänzende politische Karriere zu einem abrupten Ende, sondern es wurde auch sein ehrgeiziges Modernisierungsprogramm in einem darniederliegenden und verwüsteten Land zunichte gemacht. Wenige Jahre später, 1837, nunmehr unter dem bayerischen König Otto von Wittelsbach, dem ersten König Griechenlands, wurde die Athener Universität gegründet, welche als eine kleine Würdigung der enormen Leistungen Kapodistrias bis heute dessen Namen trägt.    (AL)

Introbild: Ioannis Kapodistrias, Porträt von Dionysios Tsokos, Oben rechts: Ioannis Kapodistrias, Lithographie von Franz Eybl, (Detail, 1829). Unten rechts: Ioannis Kapodistrias,  Lithografie von Gustav Adolf Hippius, (Detail, 1822), Quelle: Wikimedia Commons