Er verstand die Philosophie als Handeln — nicht als kontemplative Theorie. Er selbst war Philosoph, Soziologe, Ökonom bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Psychoanalytiker und profunder Kenner des Marxismus sowie radikaler politischer Aktivist, nicht nur während der Ereignisse im Mai 1968 in Frankreich.

Cornelius Castoriadis, geboren am 11. März 1922 in Konstantinopel, hat Griechenland in der ersten Zeit der blutigen Ereignisse verlassen, die wenig später zu einem brutalen Bürgerkrieg führten. Es begann alles mit einer Schiffsreise. Es war gegen Ende des Jahres 1945 als das Schiff mit dem exotischen Namen „Mataroa“ von Piräus nach Marseille abfuhr. Auf dem Schiff befanden sich mehrere junge Griechen, die ein französisches Stipendium bekommen hatten und Griechenland, wo sich bereits ein furchtbarer Bürgerkrieg abzeichnete, verlassen durften. Es waren junge Leute, die später eine bedeutende Rolle spielen sollten: Cornelius Castoriadis, Kostas Papaioánnou (1925-1982), Kostas Axelós (1924-2010) und Matsi Chatzilazarou (1914-1987), um einige wenige bekannten Namen zu nennen.

Cornelius Castoriadis in seiner Pariser Wohnung

Seine ersten politischen Erfahrungen machte Castoriadis in den späten 30er Jahren, als in Griechenland eine rechtsextreme, militärische Diktatur unter Metaxás regierte. In Frankreich der Nachkriegszeit ist dem jungen Castoriadis gelungen, eine bedeutende Zeitschrift mit dem markanten Titel „Socialisme ou Barbarie“ zu gründen. Es handelt sich weniger um noch eine politische Zeitschrift als vielmehr um ein Ideenforum, das mit der Zeit an Einfluss gewann. Hier veröffentlichte er bedeutende Arbeiten, die seinen Namen auch außerhalb von Frankreich bekannt machten.

Cornelius Castoriadis hat ein Werk geschaffen, das mehrere Gesichter hat und bei dem nicht leicht ist, es in die eine oder andere philosophische Richtung einzuordnen. Er untersucht die Bürokratie als eine neue Form politischer Macht, er kommentiert Aristoteles oder Sappho und beschäftigt sich ausgiebig mit dem Begriff des Radikal-Imaginären, den er in seinen Schriften als erster einführte.

In seinem Hauptwerk L᾽ institution imaginaire de la société (Gesellschaft als imaginäre Institution), das im Jahr 1975 erschien, zeigt er in aller Schärfe, dass Institutionen, sei es der monotheistische Gott, die Rationalität oder der westliche Kapitalismus, als Produkte historisch-gesellschaftlicher Prozesse zu verstehen sind. Es geht um das institutionalisierte Imaginäre, das auf dem Wahrnehmbaren, dem Denkbaren und dem Vorstellbaren beruht.

Der bedeutende deutsche Soziologe Jürgen Habermas sagt in seinem bahnbrechenden Werk „Der philosophische Diskurs der Moderne“, dass Castoriadis „…den originellsten, ehrgeizigsten und reflektiertesten Versuch unternommen (hat), die befreiende Vermittlung von Geschichte, Gesellschaft, äußerer und innerer Natur noch einmal als Praxis zu denken“.

Auch wenn Castoriadis zu seinen Lebzeiten nicht gerade populär war, kann man heute von einem kontinuierlichen Interesse an seinem Werk sprechen, welches nicht nur in Frankreich, sondern auch in Lateinamerika immer mehr an Bedeutung gewinnt. In diesem Rahmen fand vor wenigen Tagen, vom 11-13. März, ein internationales Symposium mit 65 Rednern an der Aristoteles-Universität von Thessaloniki anlässlich des 100. Geburtstages von Cornelius Castoriadis statt.      

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Wir verdanken Cornelius Castoriadis viel. Er war ein profunder Kenner der marxistischen Lehre und folglich einer der ersten europäischen Intellektuellen überhaupt, der es wagte, zusammen mit seinem Freund Kostas Papaioánnou, gegen Mitte der 50er Jahre die totalitäre Seite des „Sozialismus“ zu entlarven und ihn scharf zu kritisieren. Auch sein Engagement für eine ökologische Bewegung, in einer Zeit, in welcher allein der Begriff „Umweltschutz“ fast unbekannt war, ist bemerkenswert. Begriffe wie die Autonomie oder das Radikal- Imaginäre hat er als allererste eingeführt und so das philosophische Denken beträchtlich erweitert. Besonders die Autonomie, die als Hauptthema in seinen ersten Werken erscheint, war ein Thema, das Castoriadis fortwährend beschäftigte.

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Der Gedanke der individuellen und kollektiven Autonomie beschäftigte Castoriadis bereits seit den 70er Jahren. Er untersuchte die griechische Polis, in der Zeit vom achten bis zum vierten vorchristlichen Jahrhundert, in der sich der Anspruch auf Autonomie stark machte. Die alten Griechen erfanden laut Castoriadis nicht nur die Demokratie, sondern auch, mithilfe von Philosophie und Politik, die Selbstregierung und die Selbstaufklärung der Gesellschaft.

Auch wenn dieses radikale Denken mit dem Niedergang der Athener Demokratie verschüttet wird, taucht es wieder in der westlichen Welt auf und nicht nur in der Moderne, sondern auch schon wesentlich früher. Um diesen Anspruch auf Selbstbestimmung lebendig zu halten und zu verwirklichen, bedarf es laut Castoriadis direkter Demokratie und der Aufhebung des »kapitalistischen Imaginären«. Cornelius Castoriadis starb am 26. Dezember 1997 in Paris.