Mark Mazower, Historiker, Professor an der Columbia Universität und seit neulich Griechischer Ehrenbürger, schrieb nicht nur ein weiteres Buch zur Griechischen Revolution mit diesem Titel. Sein Buch „The Greek Revolution“, das letztes Jahr, rechtzeitig zum 200jährigen Jubiläum der griechischen Revolution gegen das osmanische Joch auch in Griechenland erschien, sticht mit seiner Objektivität und seiner analytischen Schärfe hervor. Seine Leistung besteht darin, den griechischen Aufstand als Vorboten einer neuen Welt zu betrachten, die im 19. Jahrhundert im Werden begriffen war.

Mazower᾽s Buch weist viele Tugenden auf. Es ist zunächst in einer lebendigen, narrativen Sprache geschrieben, die viele literarische Qualitäten hat. Das mindert jedoch nicht die Wissenschaftlichkeit und den kritischen Blick, der jenseits aller griechischen Nationalmythen, nach den realen Gründen der Griechischen Revolution sucht und sie in einem größeren Rahmen einordnet.

Mazower lebt in Amerika und diese räumliche Distanz führt dazu, dass er den nötigen Abstand hat, um die Griechische Revolution von 1821 nicht nur als eine enorme Leistung zu würdigen. Denn hier ging es nicht nur um die Unabhängigkeit einer Nation, sondern um einen gigantischen Kampf, der als Ziel hatte, die Entstehung einer Nation im Europa der Imperien zu erreichen. In einem Europa also, wo zu dieser Zeit jede Unabhängigkeitsbewegung höchst unerwünscht war.

Mark Mazower erklärt in seinem vieldiskutierten Buch: „Wofür die Griechen gekämpft und gewonnen haben, war ein Vorbote der Zukunft eines Europas, in dem neue Staaten, losgelöst von vornationalen Imperien, als souveräne Nationen innerhalb einer kapitalistischen Weltordnung entstehen würden… Vom Freiheitsdrang durchdrungen, bedeutete der griechische Kampf unweigerlich eine Suche nach dem Sinn der Staatlichkeit in der modernen Welt“. So wird die griechische Revolution aus Sicht Mazower᾽s zu einer europäischen Angelegenheit.

Laut Mazower bestand die Leistung der Griechen hauptsächlich darin, dass sie nicht nur die osmanische Verwaltung von dem griechischen Boden entwurzelten, sondern auch eine ganze Machtphilosophie zusammen mit den dazugehörigen Institutionen, welche letztere unterstützt hatten, zusammenfegten. Die Schlüsselwörter dieser neuen Ordnung der Dinge waren nicht die dynastische Legitimität, sondern die Nation, der religiöse Glaube, der Kapitalismus und die verfassungsmäßige Repräsentation.

Die hegemonialen Monarchien und landgestützten Imperien Europas –von denen einige fast so lange bestanden wie das Osmanische Reich– wichen neuen Staaten, die auf den gleichen Prinzipien nationaler Homogenität und demokratischer Regierungsführung basierten. Es war die Welt der Nationalstaaten, die Welt, in der wir heute leben, die auch angesichts der Globalisierung des späten 20. Jahrhunderts überlebt hat. Diese herrschende Idee des Nationalstaates, die sich im 19. Jahrhundert mühsam durchsetzte, haben die Protagonisten der Griechischen Revolution richtig und rechtzeitig erkannt. In der Griechischen Revolution von 1821 finden wir daher nicht nur die Anfänge des Sieges des Nationalismus, sondern auch die Idee einer international organisierten Staatengesellschaft, eines neuen internationalen Systems, das sich durchaus bewährte.

„Historiker denken meistens, dass sie einen Beruf ausüben, der sich der Zerstreuung nationalistischer Mythen verschrieben hat und diese nicht untergraben“, sagt Mark Mazower in der Einleitung zu seinem Buch. Diese Auflösung der nationalistischen Mythen, die sich von den ersten Grundschulklassen an für alle Griechen:innen befestigt, ist in der Tat ein schmerzhafter, aber befreiender Prozess für alle. Die menschliche, also unvollkommene Dimension in der Persönlichkeit eines Helden zu verstehen, die man unterschiedslos zu ehren gelernt hat, bevor man überhaupt versteht, was Heimat bedeutet, ist ein langsamer Reifungsprozess. Das bieten uns vor allem die guten Geschichtsbücher, die durch jahrelange Recherche einen facettenreichen Blick auf historische Ereignisse geben.

Vielschichtig erzählt Mazower die Geschehnisse, gibt als auf Details beharrender Berichterstatter ein Zeitgefühl, beleuchtet die Zusammenhänge der Ereignisse, die Abläufe und betont die Bedeutung des Zufalls. Wie der Autor erklärt, war die griechische Revolution kein einzelnes Ereignis, wie es die eindeutige Perspektive der nationalen Mythologie betrachtet, sondern eine Abfolge von Ereignissen, die sich oft widersprachen. Das Buch ist also genau das: eine Abfolge von Ereignissen, die zusammen ein facettenreiches Gemälde ergeben. 

Introbild: Mark Mazower in Athen