Eine jungfräuliche Jägerin, die von anderen Jungfrauen begleitet wird. Sie liebt die Wildnis und die tiefen Wälder. Sie ist die Schwester des hellsten Gottes, des Apollon. Sie ist Artemis, die schönste unter den Göttinnen der antiken griechischen Religion. Von allen olympischen Gottheiten ist Artemis die einzige Göttin, die Homer mit einem ungewöhnlichen Beinamen bedacht hat. Sie ist agní, heilig und rein zugleich (vgl. Odyssee, 5,123). Sie hat etwas Hohes und Ehrwürdiges zugleich. Sie liebt die Einsamkeit der Wälder und Berge, sie liebt Tiere, Bäume und Blumen. Der homerische Aphroditenhymnus sagt von ihr: „Am Bogen hat sie Lust und am Saitenspiel, an Reigentänzen und weithinschallendem Aufschrei“. In den Darstellungen der Kunst erscheint sie ständig mit einem Hirsch zusammen. Sie liebte aber ganz besonders die wilden Tiere: Löwen, Bären, Eber, Wölfe – Stier und Roß gehörten auch dazu.
Ein orphischer Hymnus hat ein anderes Attribut festgehalten. Ihre Hilfe bei den Wehen der Frauen. „Helferin in den Wehen, die selbst keine Wehen erleidet“, heißt es hier. Dem Mythos nach wurde sie als Zwillingsschwester des Apollon zuerst geboren. Als bei der nachfolgenden Geburt ihres Bruders Schwierigkeiten auftraten, half sie – die schon bereits alle Eigenschaften einer Göttin besaß – ihn zur Welt zu bringen. Deshalb wurde sie auch „Artemis Eileithyia“ oder auch „Artemis Kourotrofos“ genannt und sie war die Göttin der Gebärenden, der Mütter und der Kinder. Nicht nur Mütter und Schwangere brachten ihr regelmäßig Opfergaben dar, es gibt auch viele Zeugnisse von Kindergeschenken bei der Verehrung der Göttin. Ebenso fanden auch große Staatsopfer statt.
Eins ihrer wichtigsten und schönsten Heiligtümer lag in Vravrona, ca. 35 Km von Athen entfernt. Hier hatte man früher, in der Blütezeit der olympischen Religion, junge Mädchen ihrem Dienst anvertraut und die Frauen hatten ihr Fest Jahr für Jahr mit großem Glanz gefeiert. Es heißt, dass selbst aus Athen Prozessionen zu diesem Tempel teilnahmen.
Auch wenn die antike Religion schon lange erloschen ist, liegt ein unerklärlicher Zauber über den Antikenstätten. So auch bei den Überresten des kleinen, aber schmucken Artemistempels von Vravrona, der noch zusammen mit dem dazugehörigen Museum zu besichtigen ist. Die Tempelanlage ist die einzige guterhaltene, welche der Göttin Artemis gewidmet war. Zu den großen Mythengestalten gehört zweifellos die Iphigenie, die als Priesterin hier gelebt haben soll und deren Grab sich hier befand.
Das Artemis-Heiligtum wurde schon in der geometrischen Zeit erbaut. Ausgrabungen, die hauptsächlich der Archäologe J. Papadimitriou durchgeführt hat, haben Zeugnisse eines ursprünglichen archaischen Tempels aus dem Ende des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts ans Licht gebracht. Diese erste Anlage wurde wenig später von einem Nachfolgebau des ausgehenden fünften Jahrhunderts ersetzt. An die Stelle des zerstörten archaischen Tempels wurde ein einfacher dorischer Tempel mit Pronaos, dreischiffiger Cella und Adyton in seinem hinteren Teil errichtet. Die reichen Funde, die man heute im benachbarten Museum bestaunen kann und welche hauptsächlich aus der spätklassischen und der hellenistischen Zeit stammen, zeugen von der großen Bedeutung des Artemis-Heiligtums in der Antike. Darunter sind viele Opfergaben von oder auch für Kinder, wie etwa Kinderskulpturen, welche als Bittgabe für die Heilung von diversen Krankheiten dienten. Ebenso gibt es auch Spielzeug und dessen Darstellungen. Aufgrund der Tatsache, dass die Umgebung des Tempels auch heute noch ein Feuchtgebiet ist, wurden aus dem Untergrund besonders gut erhaltene Gegenstände aus verschiedenen Materialien geborgen, deren Erhaltung besonders gut ist und die einen Einblick in weitere Aspekte dieser alten Kultur erlauben.
Introbild: Die Archäologische Stätte Vravrona, nahe Athen.
Vravrona, Das Archäologische Museum, Ausstellungsstücke.
(AL)